Adam Smith, ein verkannter Ökonom und Moralphilosoph

Im Zusam­men­hang mit dem in letz­ter Zeit viel geschol­te­nen Tay­lo­ris­mus kommt auch der Name Adam Smith gele­gent­lich ins Spiel. Dabei wer­den ihm auch neo­li­be­ra­le Ideen zuge­schrie­ben, bei­spiels­wei­se dass sich die Öko­no­mie selbst mit “unsicht­ba­re Hand” regu­lie­ren wür­de, wenn man sie frei lau­fen lässt. Eine aktu­ell erschie­ne­ne Bio­gra­phie über das Leben und Werk von Adam Smith zeigt jedoch völ­li­ge ande­re Sei­ten und Hal­tun­gen des schot­ti­schen Moral­phi­lo­so­phen – die auch heu­te noch oder gera­de wie­der hoch aktu­ell erscheinen. 

Mitgefühl und Einbildungskraft

Men­schen kön­nen allei­ne nicht gut über­le­ben, suchen des­we­gen die Gemein­schaft mit ande­ren Men­schen, und sind dafür auch bereit, sich den Regeln und Erwar­tun­gen der jewei­li­gen Gemein­schaft unter­zu­ord­nen. Wir wer­den bereits mit der Fähig­keit gebo­ren, uns in ande­re hin­zu­füh­len, was Adam Smith zufol­ge eine viel ele­men­tare­re und frü­he­re Form der mensch­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on ist, als die Spra­che. Wir benut­zen hier­zu unse­re Ein­bil­dungs­kraft und über­win­den so die Gren­zen unse­rer eige­nen Person.

Soll­te das in unse­rer Vor­stel­lung Nach­emp­fun­de­ne mit den Gefühls­äu­ße­run­gen der Betrof­fe­nen kor­re­spon­die­ren, bspw. mit der Bekun­dung von Trau­er, dann bil­li­gen wir die­se, sonst miss­bil­li­gen wir sie” (S. 68). In die­ser Wei­se fäl­len wir Wert­ur­tei­le über ande­re und wer­ten das Ver­hal­ten ande­rer. Dabei ist unse­re Bereit­schaft, mit den Affek­ten ande­rer zu sym­pa­thi­sie­ren, indi­vi­du­ell, situa­tiv und kul­tu­rell verschieden.

Smith unter­schei­det kör­per­li­che (Hun­ger), psy­chi­sche (Angst, Kum­mer), unso­zia­le (Hass, Ver­gel­tungs­wunsch), sozia­le (Güte, Mit­leid) und selbst­be­zo­ge­ne (Glück, Unglück) Ursa­chen für unse­re Affek­te und meint, dass es jeweils dar­auf ankä­me, wie weit wir die­se nach­voll­zie­hen kön­nen. Weil wir Men­schen davon aus­gin­gen, dass jeder für sich selbst ver­ant­wort­lich ist und für sich sor­gen muss, akzep­tier­ten wir grund­sätz­lich selbst­be­zo­ge­ne Affek­te wie Kum­mer, Freu­de, Glück, Trau­er etc. Aller­dings nur in gewis­sen Maßen. So sei die Sym­pa­thie mit selbst­be­zo­ge­nen Affek­ten weni­ger inten­siv als bei sozia­len Affek­ten und eben­so sei auch die Abnei­gung weni­ger inten­siv als bei unso­zia­len Affek­ten. (S. 74)

Smith sagt: Wer­den die selbst­be­zo­ge­nen posi­ti­ven Affek­te zu stark (zu gro­ßes Glück), schwin­det die Anteil­nah­me und geht über in Neid. Gerin­ge selbst­be­zo­ge­ne nega­ti­ve Affek­te (zu klei­nes Unglück) kön­nen wie­der­um über­ge­hen in Gespött.

Gerechtigkeitssinn inkl. Sympathie mit dem Bösen

Nach Smith ver­fü­gen wir über einen aus­ge­präg­ten Gerech­tig­keits­sinn. So kann bspw. ein Ver­gel­tungs­ge­fühl ent­ste­hen, wenn wir Unge­rech­tig­keit wahr­neh­men. Wir sym­pa­thi­sie­ren dann unter Umstän­den sogar mit dem unso­zia­len Gefühl, Böses mit Bösem zu vergelten.

Das Ver­gel­tungs­ge­fühl scheint ein Aus­gleichs­be­dürf­nis zu sein. Wobei es dabei nicht um Rache, son­dern um Fair­ness geht. Ande­re kön­nen akzep­tie­ren, dass wir bes­ser sein wol­len, aber eben nicht dadurch, dass wir ande­ren hier­zu unmit­tel­bar schaden.

Bei unso­zia­len Affek­ten wie Hass, Rache und Ver­gel­tungs­wunsch teilt sich Smit­hs Idee nach die Sym­pa­thie zwi­schen Sub­jekt und Objekt auf. Das Mit­ge­fühl mit der einen Per­son, bspw. mit einem Ver­gel­tungs­wunsch, wird durch das mit der ande­ren, bspw. Mit­leid, redu­ziert. Des­we­gen erreicht die “Sym­pa­thie mit unso­zia­len Affek­ten nie die Inten­si­tät, wie dies bei sozia­len Affek­ten der Fall ist” (S. 71). Oder anders for­mu­liert, wir­ken sozia­le Affek­te (Wohl­tä­tig­keit, Güte, Ach­tung, Edel­mut, Mit­leid etc.) dop­pelt: auf den Geben­den und auf den Erhaltenen.

Unser Gerech­tig­keits­sinn rich­tet sich dabei nicht nur gegen ande­re, son­dern mög­li­cher­wei­se auch gegen uns selbst. Wir nen­nen das dann Gewissensbisse.

Inter­es­sant fin­de ich, dass wir die­sen Gerech­tig­keits­sinn auch über die Spiel­theo­rie empi­risch bestä­ti­gen kön­nen: Geben wir zwei Men­schen 100 Euro nur unter der Bedin­gung, dass sie sich über die Auf­tei­lung eini­gen kön­nen, zie­hen Men­schen es regel­mä­ßig vor, lie­ber gar nichts zu erhal­ten, als wenig aber in unge­rech­ter Verteilung.

Moralisches Wissen und der Wunsch, liebenswert zu sein

Um rich­tig zu urtei­len und zu han­deln, im Sin­ne einer nor­ma­ti­ven Ethik, genügt Mit­ge­fühl jedoch nicht. Es müs­sen auch eige­ne Vor­an­nah­men hin­ter­fragt wer­den (S. 76).

Wir stre­ben danach, zu Recht lie­bens­wert zu sein. Hier­zu ler­nen wir, uns mit den Augen ande­rer zu sehen, also ein mul­ti­per­spek­ti­ves Selbst­bild zu ent­wi­ckeln. Erst durch die­ses Bemü­hen nach Über­par­tei­lich­keit kön­nen wir das Rich­ti­ge erken­nen und mora­li­sches Wis­sen erlan­gen. Die­ses mora­li­sche Wis­sen kann mit der öffent­li­chen Mei­nung ein­her­ge­hen, muss aber nicht (S. 77).

Wenn wir sagen, dass wir als auf­ge­klär­te Men­schen der Wahr­heit ver­pflich­tet sind und nicht ein­fach tun und las­sen, was ande­re uns vor­schrei­ben oder von uns erwar­ten, dann ist die­ses mora­li­sche Wis­sen gemeint. Die­ses Wis­sen ist nach Adam Smith das “ein­zi­ge wirk­lich funk­tio­nie­ren­de Heil­mit­tel gegen Oppor­tu­nis­mus und Kon­for­mis­mus” (S. 78).

Weil wir gesel­li­ge Wesen sind, sind uns die Urtei­le ande­rer nicht egal. Wir stre­ben nach Wert­schät­zung durch ande­re Men­schen. “Im Rah­men unse­rer Sozia­li­sa­ti­on” sind wir dafür sogar bereit, unse­re Ansich­ten so zu ändern und unse­re Affek­te so zu kon­di­tio­nie­ren, das ande­re sie bil­li­gen oder zustim­men kön­nen (S. 78).

Wor­über ich in der Bio­gra­phie wenig fin­den konn­te (S. 79), was mich aber noch inter­es­siert hät­te, wären die Gedan­ken Adam Smith zum Ein­fluss des Selbstwertgefühls.

Pflichtgefühl

Was uns hin­ge­gen nicht ange­bo­ren sei, son­dern auf Erfah­rung und ratio­na­ler Ein­sicht basie­ren wür­de, sei das Pflicht­ge­fühl (S. 79). Ver­mut­lich ging Adam Smith davon aus, dass wir beob­ach­ten, wie unser Ver­hal­ten auf ande­re wirkt und hier­zu The­sen über mög­li­che Zusam­men­hän­ge bil­den. Pflicht­ge­fühl ist für Adam Smith dann das Bestre­ben, “alle jene Hand­lun­gen zu ver­mei­den, die uns has­sens­wert, ver­ächt­lich und straf­fäl­lig machen müss­ten” (S. 79).

Die aus Erfah­rung als ver­nünf­tig erach­te­te Befol­gung von Pflich­ten führt zu ‘See­len­ru­he, Zufrie­den­heit und Genug­tu­ung über das eige­ne Ver­hal­ten’ und schafft zudem eine gerech­te­re Gesell­schaft”, wird Adam Smith zitiert (S. 80). Weil dies aber nicht ange­bo­ren ist, bedarf es gesell­schaft­li­cher, staat­li­cher und orga­ni­sa­to­ri­scher Rechts­sys­te­me zur Gewähr­leis­tung der Pflich­ten durch Sank­tio­nen und Belohnungen.

Ich stel­le mir hier die Fra­ge, ob Pflicht­ge­fühl auch mit dem Zuge­hö­rig­keits­ge­fühl zu einer Gemein­schaft kor­re­spon­diert und ob dar­über das Phä­no­men der Ver­ant­wor­tungs­dif­fu­si­on zu erklä­ren ist? Füh­len wir uns bei­spiels­wei­se dem Nah­be­reich von Fami­lie, Freun­den oder Nach­bar­schaft mehr zuge­hö­rig, als viel­leicht dem Staat, einer Orga­ni­sa­ti­on oder einer Nati­on, dann müss­te das Pflicht­ge­fühl in Abhän­gig­keit davon unter­schied­lich aus­ge­prägt sein.

Außer­dem geht er auch davon aus, dass es unmit­tel­ba­re Über­tra­gung von Gefüh­len ohne kogni­ti­ve Anstren­gung gibt, bei­spiels­wei­se Panik (S. 97).

Abschluss

Adam Smith leb­te in einer ganz ande­ren Zeit und Gesell­schaft als wir heu­te. Die Nöte und Abhän­gig­kei­ten durch Hun­ger, Armut, Ver­skla­vung, Ket­ze­rei, sozia­ler Her­kunft etc. schei­nen, obwohl noch immer vor­han­den, nicht mit der dama­li­gen Zeit zu ver­glei­chen. Und doch pas­sen vie­le sei­ner Gedan­ken eben­so gut noch in unse­re Zeit.

In Anbe­tracht sei­ner Bio­gra­phie und sei­ner Wer­ke erscheint die Ver­ein­nah­mung sei­ner Per­son für neo­li­be­ra­le Ideen eher abwe­gig. Es erscheint mir als ein his­to­ri­sches Miss­ver­ständ­nis, gera­de ihm die Befür­wor­tung völ­lig unge­re­gel­ter Markt­me­cha­nis­men zuzu­schrei­ben. Sei­ne Gedan­ken zum ange­bo­re­nen Mit­ge­fühl, einem natür­lich aus­ge­präg­ten Gerech­tig­keits­sinn und einem gelern­ten Pflicht­ge­fühl fin­de ich hin­ge­gen auch im Kon­text von Orga­ni­sa­tio­nen hilfreich.

Die im Text ange­ge­be­nen Sei­ten­zah­len bezie­hen sich auf die jüngst erschie­ne­ne Bio­gra­phie “Adam Smith, Wohl­stand und Moral, eine Bio­gra­phie”  von Ger­hard Stre­min­ger (Ver­lag C. H. Beck, 2017, http://​www​.chbeck​.de/​s​t​r​e​m​i​n​g​e​r​-​a​d​a​m​-​s​m​i​t​h​/​p​r​o​d​u​c​t​/​1​7​7​7​0​115), die ich hier­mit emp­feh­len möch­te: Ein unter­halt­sa­mes und sehr lesens­wer­tes Buch.

 

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