Ungefähr heute vor einem Jahr erschien unser Buch „Das kollegial geführte Unternehmen“. Parallel haben Claudia und ich angefangen, eine Reihe von neuen Workshops und Ausbildungen zum Thema anzubieten. Im Folgenden möchte ich berichten, was sich daraus seitdem entwickelt hat.

Buch

Die Entwicklung des Buches ist hierbei schnell erzählt. Seit Erscheinen ist es ein Beststeller (bspw. bei Amazon) und musste innerhalb von einem Jahr schon zweimal in größerer Zahl nachgedruckt werden. Über die daraus resultierenden vielen persönlichen Rückmeldungen freuen wir uns bis heute sehr.

Was sind die wichtigsten Rückmeldungen, die wir erhalten haben? Große Sympathie erfahren wir für unseren Ansatz,

  • kollegiale und agile Organisations- und Führungsprinzipien schrittweise, lokal und empirisch-evolutionär zu adaptieren,
  • auch von durchschnittlichen Unternehmen erfüllbare kulturelle Voraussetzungen anzunehmen,
  • wichtige Praktiken wirklich konkret und adaptierbar zu beschreiben,
  • einen flexiblen und offenen Baukasten an Stelle einer Standardlösung anzubieten
  • und unser Modell ohne Franchise-System gerne offen zu teilen und weiter zu entwickeln.

Auch hat sich das Verständnis verbreitet, welche kommunikativen Basisfertigkeiten hierfür relevant sind.

So praktisch der Inhalt als Buch aufbereitet ist, umso unpassender ist das Medium für die inhaltliche Dynamik. Wenn wir die Zeit hätten, könnten wir alle 3 – 4 Monate eine Neuauflage editieren, um ganz neue und deutlich weiterentwickelte Konzepte zu integrieren. Ich hoffe immer noch, zumindest mal Zeit zu finden, die wichtigsten Entwicklungen hier im Blog nachzutragen.

Sehr unterschiedliche Entwicklungen haben sich hingegen aus unseren Workshop-Formaten ergeben. Hier erfuhren wir die meisten Überraschungen. Unsere Angebote hatten wir Ende 2016 ganz neu an Zielgruppen orientiert aufgesetzt: Unternehmer, (externe) Organisationsentwickler, (interne) Organisations-Coaches.

Interne Coaches

Immer mehr Unternehmen führen kollegiale und agile Organisations- und Führungsprinzipien ein. Unsere These war, dass es hier einen großen Bedarf an internen Experten und Coaches geben müsste. Für diese Zielgruppe hatten wir deswegen ein eigenes Curriculum angeboten. Vermutlich gibt es hier auch Bedarf, aber wohl in anderer Form. Jedenfalls haben wir die öffentlichen Workshop-Termine für diese Zielgruppe mangels Nachfrage nach einigen Monaten wieder aus dem Programm genommen und stattdessen themenspezifische Kurz-Workshops aufgenommen.

Agile Organisationsbegleitung

Die zweiteilige Ausbildung „Agile Organisationsbegleitung“ wiederum ist der Hammer. Wir sind bis heute sehr erstaunt über die Entwicklung. Anfangs hatten wir pro Halbjahr einen Starttermin im Angebot. Innerhalb weniger Wochen hatten wir Starttermine verdrei- und vervierfacht, mehr können wir zeitlich nicht leisten, und dennoch sind diese Workshops mittlerweile Monate im Voraus ausgebucht.

Viel mehr noch beeindruckt uns jedoch die Entwicklung drumherum. Die typischen Teilnehmerinnen dieser Ausbildung sind gestandene selbstständige Organisationsentwickler mit 10, 20 oder mehr Jahren Berufserfahrung. Es macht uns sehr viel Freude, mit solchen Kolleginnen gemeinsam zu arbeiten – sehr professionell, erfahren, offen, kritisch und reflektiert.

Regelmäßig bringen sie eigene zum Thema passende Expertise und Beiträge ein. Die Workshops selbst haben Claudia und ich so konzipiert, dass sie auch agilen und kollegialen Organisations- und Führungsprinzipien folgen und diese gruppendynamisch erlebbar machen. Für uns Trainer ist das damit verbundene Sog-Prinzip ebenso angenehm wie für die Teilnehmerinnen, weil diese Wissen und Erfahrungen nach ihrem spezifischen Bedarf und ihrem (hohen) Tempo anfordern, statt dass wir ein Standardprogramm hineingeben.

Viele der Teilnehmerinnen begleiten bereits Organisationen bei der Einführung agiler und kollegialer Führungs- und Organisationsprinzipien, haben entsprechende konkrete Anfragen oder Kontexte vor Augen oder sind als angestellte OE-ler in ihren Unternehmen hierzu bereits gefordert. Dadurch ergeben sich zahlreiche spezifische und sehr konkrete praxisrelevante Fragen, die wir bearbeiten können und an denen wir gemeinsam lernen können. So entstehen auch immer wieder neue Ideen und Variationen bestehender Konzepte – die, wie schon im Buch, viele verschiedene Mütter und Väter haben und die wir in das Gesamtbild zu integrieren versuchen.

Außerdem gelingt es uns dadurch, die wirklich relevanten und nützlichen Konzepte zu identifizieren. Würden wir alle diese Anregungen systematisch aufarbeiten und in eine Aktualisierung des Buches einfließen lassen, würde man schon heute ein ganz anderes Buch vorfinden.

Als ein Beispiel für eine dynamische Entwicklung möchte ich das Modell des idealtypischen Vorgehens zur Einführung agiler und kollegialer Organisations- und Führungsprinzipien nennen. Dieses Modell ist so eine Art verallgemeinerte innere Landkarte für uns als Begleiter, aus deren Vergleich mit realen Organisationskontexten sich immer wieder wichtige Fragen, Anregungen oder Orientierungspunkte ergeben.

Die erste der beiden folgenden Abbildungen zeigt die Version aus dem Buch, die zweite den Stand vom Sommer 2017.

Kollegiale Führung: Modell des idealtypischen Vorgehens zur Einführung agiler und kollegialer Organisations- und Führungsprinzipien (Stand 11/2016)

Kollegiale Führung: Modell des idealtypischen Vorgehens zur Einführung agiler und kollegialer Organisations- und Führungsprinzipien (Stand 8/2017)

Unternehmer

Die Workshops für die Zielgruppe Unternehmer sind in anderer Weise spannend. Die Gruppen sind hier klein (3 – 4 Unternehmerinnen/Gruppe), die Anliegen manchmal noch viel spezifischer, manchmal aber auch eher genereller. Die Teilnehmer kommen, um für sich selbst, für ihr Unternehmen und ihre Mitarbeiter Orientierung zu gewinnen. Sie würden die entsprechenden Veränderungen in ihren Unternehmen nicht selbst gestalten, sondern nur die den Rahmen und Rückhalt durch entsprechende strategische Entscheidungen dafür bieten.

Da geht es eher darum, zu erkunden, was und wie sie ihrer Organisation gut zumuten können: In welchem Tempo? Auf welche Risiken müssen sie sich vorbereiten? Mit welchen Zeit- und Kostenrahmen sollten sie rechnen? Welche Beiträge können oder müssen sie selbst leisten? Welche Voraussetzungen sind noch zu schaffen? Ist das überhaupt der richtige Weg und was ist eigentlich das Problem?

An der Teilnehmerschaft merken wir, wie und wo das Thema in der Wirtschaft insgesamt an Bedeutung gewinnt. Wir begegnen Geschäftsführern internationaler Unternehmen mit zig-tausend Mitarbeitern ebenso wie Inhabern von 50-Personen-Unternehmen. Unternehmen aus sozialen und dienstleistenden Bereichen ebenso wie Produktions- und Handelsunternehmen, gemeinnützigen und werteorientierten ebenso wie profitorientierten.

Fazit

Anders als noch vor drei oder vier Jahren ist das Thema mittlerweile in der Mitte der Wirtschaft angekommen. Es sind nicht mehr die Pionier- und Ausnahmeunternehmen, deren Inhaber selbst auch das Thema maßgeblich mit entwickelt haben (wie wir selbst beispielsweise seinerzeit), sondern es sind jetzt ganz normale Unternehmen mit ganz durchschnittlichen Mitarbeitern. Entsprechend sind überambitionierte Modelle mit hohen Voraussetzungen nicht mehr gefragt.

Wir begegnen Unternehmerinnen und Top-Führungskräfte, die oben ansetzend mit der Erprobung bestimmter organisationaler Elementen (beispielsweise Kreisstruktur, Entscheidungsprinzipien, Führungsmonitor) beginnen, während in anderen Organisationen eher von unten kommend mit Hilfe von Lernbegleitungskonzepten kommunikative Fertigkeiten der Organisationsmitglieder ausgebaut werden, um die kulturelle Basis für Veränderungen zu stärken.

Ebenso sind es nicht mehr alleine wenige bekanntere Experten, die Organisationen begleiten, sondern diese Dienstleistungen werden mittlerweile auch von einer breiteren Schicht sehr professioneller Coaches und Beraterinnen angeboten. Wobei wir einen relevanten Unterschied spüren, zwischen auf den IT-Kontext begrenzten so genannten agilen Coaches ohne eine von einem Dachverband anerkannte Coaching-Ausbildung und weitergehend qualifizierten und anerkannten systemischen Coaches und Organisationsberatern, die nun agile Prinzipien entdecken und adaptieren.

Innerhalb des Kreises unserer Absolventen haben sich zahlreiche bilaterale Beziehungen, Kooperationen und informelle Kleingruppen gebildet. Ebenso auch etwas strukturiertere Kooperations- und Kommunikationsformate, mit denen wir gemeinsam das Thema weiter bearbeiten, uns austauschen und uns gegenseitig unterstützen. Beispielsweise findet in Kürze in der Art einer Alumni-Veranstaltung das erste (halbjährlich geplante) Forum für kollegiale Führung statt.

Entsprechend hat sich unsere Internetseite kollegiale-führung.de entwickelt. Gestartet als reine Landeseite zum Buch gibt es dort mittlerweile auch eine Liste von agilen Organisationsbegleiterinnen, die die Konzepte aus dem Buch aus unserer Sicht adaptieren können.

Unsere eigene beraterische Heimat ist dabei next U – ein kollegiales Netzwerk, das sich ebenfalls in den letzten Monaten dynamisch entwickelt hat und neben kollegialer Führung auch noch viele andere Themen repräsentiert, aber das ist ein eigenes Thema.