Psychologische Sicherheit trifft Spiral Dynamics:  
Lern- und Angst-Zonen im Wandel der Unternehmenskultur 

Die Arbeit mit Modellen und Konzepten hilft uns, komplexe Dynamiken zu verstehen und greifbar zu machen. Besonders aufschlussreich wird es, wenn man verschiedene Ansätze miteinander kombiniert – wie das Konzept der psychologischen Sicherheit und die Entwicklungslogik von Spiral Dynamics. In dieser Kombination haben wir in der Team- und Organisations-Entwicklung überraschende Einsichten gewonnen. 

Unsere wichtigste Erkenntnis: In jeder Dimension von Spiral Dynamics kann psychologische Sicherheit auf jeweils andere Weise entstehen und gefördert werden. Dieses Verständnis kann bei der Kulturarbeit in Organisationen hilfreich sein. 

next-U-Autor:innen dieses Textes sind Monika Huber, Carsten Holtmann und Karin Volbracht. 

Vom 4-Felder-Modell zur kulturellen Passung 

Karin beschreibt in Ihrem Buch „Psychologische Sicherheit“ die Qualität eines sozialen Systems, in dem Menschen frei heraus sprechen, Unsicherheiten zugeben und lernen und Fehler machen – ohne ein soziales Risiko einzugehen oder Ausgrenzung oder Abwertung befürchten zu müssen. 

In einer bekannten Grafik beschreibt die Harvard-Forscherin Amy Edmondson die Wirkung von psychologischer Sicherheit in Korrelation mit Leistungsstandards. Daraus ergibt sich eine Matrix mit vier Feldern: 

Kurz zur Erklärung der vier Felder/Zonen:
 

  • Apathie-Zone: Hier trifft eine niedrige psychologische Sicherheit auf eher geringe Anforderungen. Die Menschen sind eher gleichgültig und wenig motiviert. Die zeigen wenig Aufmerksamkeit und Bereitschaft zu Aktivität über den eigentlichen Job hinaus.  
  • Komfort-Zone: Hier trifft eine als hoch erlebte psychologische Sicherheit auf eher geringe Anforderungen. Es herrscht ein Wohlfühlklima, Spannungen und Konflikte werden nicht offen thematisiert. Die Ziele sind nicht klar oder sie werden nicht konsequent verfolgt. 
  • Angst-Zone: Wenn als niedrig erlebte psychologische Sicherheit auf hohe Anforderungen und Leistungserwartungen trifft, kommt es zu massivem Stress. Fehler werden vertuscht oder anderen in die Schuhe geschoben. Menschen schweigen aus Angst, ein soziales Risiko einzugehen. 
  • Lern-Zone: Hier kommen psychologische Sicherheit und Höchstleistung zusammen. Durch einen offenen, angstfreien Austausch in einem konstruktiv-kritischen Klima entsteht der Raum für Innovation, Lernen und Leistungsentfaltung. 

 

Doch dieses Bild, nach dem ein Team bei hoher psychologischer Sicherheit in der Lernzone die beste LEISTUNG bringt, ist variabel. Wir verwenden in der Arbeit mit agilen oder kollegial geführten Teams zum Beispiel auch den Wert der EIGENVERANTWORTUNG auf der unteren Achse. Das macht deutlich, dass in diesen wenig hierarchisch organisierten Teams die individuelle Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, von der jeweils erlebten psychologischen Sicherheit abhängig ist. 

In vielen unserer Workshops haben wir festgestellt: Nicht in jedem organisationalen Kontext ist LEISTUNGSSTANDARD als Beschriftung der X-Achse selbsterklärend oder hilfreich. Besonders in unterschiedlichen kulturellen Umfeldern reagieren Teams sehr unterschiedlich darauf. 

Spiral Dynamics als Linse auf psychologische Sicherheit 

Das hat uns dazu angeregt, tiefer zu schauen: Wie verändert sich die Bedeutung von Sicherheit, Leistung und Entwicklung entlang verschiedener Entwicklungsstufen nach Spiral Dynamics? 

Spiral Dynamics beschreibt die Entwicklung von individuellen und kollektiven Wertesystemen – von archaischen Überlebensmustern bis hin zu integrativen, systemischen Weltbildern. Es liefert in der Organisationsentwicklung wichtige Hinweise auf beobachtbare Denklogiken, Führungsverständnisse und Veränderungsbereitschaft. 

Wir haben fünf zentrale Stufen des Spiral Dynamics Modells betrachtet:
Rot, Blau, Orange, Grün und Gelb.

Für jede Ebene haben wir folgende Fragen gestellt: 

 

  1. Wie sieht hier die optimale Lern-Zone aus, sowohl für Führungskräfte als auch für Mitarbeitende?
  2. Wie manifestiert sich die Angst-Zone?
  3. Welche Beschriftung der X-Achse würde kulturell passen?

Lern- und Angst-Zonen in den Spiral Dynamics-Stufen 

Spiral Dynamics beschreibt, wie individuelle und kollektive Denk- und Wertewelten sich entwickeln – von einfachen Überlebensmustern bis hin zu komplexen, integrativen Sichtweisen.  

In der OE hilft das Modell, die Entwicklungslogiken und damit Denkmuster in einer Organisation zu verstehen: Es zeigt, welche Werte, Strukturen und Führungsansätze aktuell prägen und welche nächsten Entwicklungsschritte möglich oder nötig sind. Dadurch können Veränderungsprozesse gezielter gestaltet, Widerstände besser eingeordnet bzw. utilisiert und Interventionen passgenauer entwickelt werden. Allerdings gilt es zu beachten, dass Organisationen sich nicht nur auf einer Stufe bewegen, sondern mehrere Entwicklungsstufen gleichzeitig.  

Rot – Macht & Kontrolle 

In dieser Stufe von Spiral Dynamics geht es um Führung durch machtvolle Entscheidungen und die Orientierung an einer einzelnen Führungspersönlichkeit.  

Die Kommunikation ist von Stärke und Dominanz geprägt, in der Zusammenarbeit geht es um Beziehungen und Nähe zu den führenden Personen. 

Ein Beispiel für eine “rote” Organisation wäre ein Unternehmen, in der ein Inhaber bei seinen allein getroffenen Entscheidungen berücksichtigt, wer sich seiner Ansicht nach loyal oder illoyal verhält. Es gibt ein klares “Drinnen und Draußen” in Bezug auf die Zugehörigkeit von Beschäftigten.  

  • Lern-Zone in Rot (psychologisch sichere Zone der Entwicklung und Innovation):
    Aus Perspektive der Mitarbeitenden: Stabile Beziehung zum Vorgesetzten ohne Gefahr von Machtmissbrauch. 
    Aus Sicht der Führungskraft: Lernen dient dem Machterhalt. „Ich kann Kontrolle ausüben und werde von Mächtigeren kontrolliert.“
  • Angst-Zone in Rot:
    Verlust des Schutzes durch und der Beziehung zu Führung/Mächtigen. 
  • Alternative X-Achse (durch PsySi unterstützte Qualität):
    Loyalität, verlässliche Beziehungen, Status in der Leistungserbringung 

Blau – Ordnung & Regelkonformität

Die blaue Stufe ist durch ein starkes Bedürfnis nach Struktur und Ordnung gekennzeichnet. Es geht um die Einhaltung gemeinsamer Regeln. Sicherheit entsteht durch für alle geltende Gesetze und Orientierung. Führung entsteht durch Hierarchie.  

Auch die Kommunikation ist hier formal, meist respektvoll und oft regelgebunden.  

Ein Beispiel für eine “blaue” Organisation wäre eine Verwaltung oder Administration mit  klaren Vorgaben für die Fallbearbeitung und einer eindeutigen Entscheidungshierarchie. Das bedeutet für die Beschäftigten, dass sie sich bei regelkonformem Verhalten sicher fühlen können. 

  • Lern-Zone in Blau (psychologisch sichere Zone der Entwicklung und Innovation):
    Ich erlebe Gerechtigkeit und gemeinsame Regeln für alle – auch beim Lernen und bei Veränderungen.  Psychologische Sicherheit entsteht durch „Gleichschritt“ und allgemeine Regeltransparenz. Lerninhalte sollten dabei „im Rahmen bleiben“. 
  • Angst-Zone in Blau:
    Ich kenne nicht alle Regeln und verhalte mich nicht regelkonform – oder ich kann die Regeln nicht akzeptieren. 
  • Alternative X-Achse oder Qualität
    Standardisierung, Stabilität 

Orange – Leistung & Wettbewerb
Zusammenarbeit auf der Stufe Orange ist geprägt von Individualismus, Wettbewerb und einem starken Fokus auf Erfolg und materiellem Fortschritt. Es geht in dieser Stufe um die Erreichung von individuellen Zielen und Selbstverwirklichung. Sicherheit entsteht durch materielle Belohnung. Orientierung bietet Erfolg und Effizienz. 

In der orangefarbenen Stufe ist die Kommunikation ergebnis- und zielorientiert. Menschen auf dieser Stufe schätzen Innovation und den konstruktiven Austausch von Ideen zur Optimierung von Prozessen. 

Ein Beispiel für eine “orange” Organisation wäre ein Unternehmen, das stark auf Innovation und Wettbewerb setzt und Führung durch sehr konkrete Zielvereinbarungs-Systeme wie KPI oder OKR wirksam wird. 

  • Lern-Zone in Orange:
    Aus Perspektive der Mitarbeitenden: Ich kann innovative Leistung erbringen. Ich kann kreativ sein. „Challenge the status quo“ (Timothy Clark). Für Leistung werde ich angemessen belohnt.
    Aus Sicht der Führungskraft: Ich lasse mich herausfordern und lerne auch durch die Leistung und die Herausforderung durch andere. 
  • Angst-Zone in Orange: Leistung wird nicht anerkannt oder ist ungenügend. Ungerechter interner Wettbewerb. 
  • Alternative X-Achse, Qualität: Leistungsstandard, Innovationsfähigkeit 

Grün – Gleichheit & Zugehörigkeit 

In der grünen Stufe beschreibt Spiral Dynamics Führung als Dienstleistung. Die grüne Stufe konzentriert sich auf Gleichheit, Gemeinschaft und Harmonie (oder Vermeiden von internen Konflikten). Menschen auf dieser Stufe setzen sich oft für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit ein.  

Kommunikation in der grünen Stufe ist kooperativ, empathisch und integrativ. Menschen auf dieser Stufe suchen nach Konsens und schätzen emotionale Intelligenz in der Interaktion. Sicherheit entsteht durch soziale Beziehungen.

Ein Beispiel für eine “grüne” Organisation wäre ein Unternehmen, das stark auf Kooperation statt Wettbewerb setzt und in dem wichtige Entscheidungen erst nach gemeinsamen Absprachen und gern im Konsens getroffen werden.
 

  • Lern-Zone in Grün:
    GEMEINSAM – ohne Unterschied Führung/Beschäftigte – etwas (für andere) gestalten. 
    Aus Perspektive der Mitarbeitenden: Ich erlebe Wertschätzung, auch wenn ich die Harmonie herausfordere. 
    Aus Sicht der Führungskraft: Ich kann auch kritisches Feedback äußern und Grenzen setzen. Sach- und Beziehungsebene können klar voneinander getrennt werden. 
  • Angst-Zone in Grün:
    Herauszustechen und andere oder die Gemeinschaft zu verletzen.
    “Ich habe eine Spannung und möchte niemanden verletzen, um das Wohlfühlen nicht zu gefährden.”  Ausgeschlossen sein, Disharmonie erzeugen. 
  • Alternative X-Achse/Qualität:
    Kooperationsfähigkeit 

Gelb – Integration & Komplexität 

Gelb markiert eine Stufe, auf der Menschen komplexe Systeme erkennen und sehen, dass unterschiedliche Perspektiven und Stufen ihre eigene Gültigkeit haben. Individuen auf dieser Stufe sind oft selbstreflektiert und in der Lage, flexibel zwischen den verschiedenen Stufen zu wechseln.  

Auf dieser Stufe geht es bei Führung um kooperative Eigenermächtigung. Sicherheit entsteht durch evolutionäre Entwicklung. Orientierung erfahren wir hier durch Prinzipien und Akzeptanz von Komplexität. Umgang mit Ungewissheit ist „normal“. 

Ein Beispiel für eine “gelbe” Organisation wäre ein gut funktionierendes kollegial geführtes oder selbstorganisiertes Unternehmen, in dem einzelne aufgrund ihrer Rolle Entscheidungen treffen können und dafür Vertrauen genießen.  

  • Lern-Zone in Gelb:
    Aus Perspektive der Mitarbeitenden: “Ich erlebe Passung im System und fühle mich voll integriert.”
    Aus Sicht der Führungskraft: “Meine Führungsentscheidungen sind in die Werte des Systems integriert.” 
  • Angst-Zone in Gelb:
    Fehlende Passung auf der Werteebene, Werte-Dissonanz.
    Krise! Nicht anknüpfungsfähig an andere Systeme zu sein à DESINTEGRATION.  Mein eigener Autonomiewunsch passt nicht zu den Werten des Systems. Ich kann mit meinem Bewusstsein nicht mehr andocken.  Ich habe keine Wirksamkeit mehr im System. 
  • Alternative X-Achse/Qualität:  Autonomie, systemische Passung

     

Ein Modell, viele Sprachen 

Unsere Hypothese lautet nun: Die Arbeit an psychologischer Sicherheit mit den Angst- und Lernzonen gewinnt an Kraft, wenn ihre Sprache zur kulturellen Realität der Organisation passt.  

Die X-Achse muss nicht statisch sein – sie darf und sollte sich der Entwicklungslogik des Unternehmens anpassen. So wird aus einem Modell ein Resonanzraum. 

 

Und Ihr? 

Wie erlebt Ihr psychologische Sicherheit in Euren Teams? Wo liegt Eure individuelle oder organisationale Lern-Zone? Und was sind typische Auslöser für Angst-Zonen in Eurem Kontext? 

Wir freuen uns auf Eure Gedanken, Erfahrungen und Perspektiven. 

Karin, Monika & Carsten