Ein interessantes Phänomen von Unternehmen ist es, dass bestimmte kulturelle Eigenheiten des sozialen Systems erstaunlich stabil bleiben, selbst wenn im Laufe der Zeit immer wieder Mitarbeiter wechseln und auch unabhängig davon, welche Mitarbeiter eingestellt werden.
Dieser Beitrag erklärt aus systemtheoretischer Sicht, wie es dazu kommen kann und was eigentlich ein soziales System aus dieser Perspektive ist.
Einer der bedeutendsten Systemtheoretiker war der 1998 verstorbene Niklas Luhmann aus Lüneburg. Aus seiner Sicht sind die elementaren Einheiten einer Organisation Kommunikationen. Dass ein soziales System nicht aus Dingen, Abteilungen oder Personen, sondern aus Operationen besteht, ist etwas gewöhnungsbedürftig, umschifft aber elegant die Abgründe der Psyche. Luhmann betrachtet nicht das Denken und Fühlen der Akteure, sondern die Kommunikation.
Über die Psyche spekulieren?
Die Menschen mit ihren Gefühlen aus der Betrachtung auszuklammern, klingt zunächst etwas kühl und unmenschlich und hat Niklas Luhmann einige Kritiker eingebracht.
Andererseits ist diese Theorie ungemein menschlich, denn sie respektiert die Einsicht, wie sinnlos es für die Organisationsentwicklung ist,
- Menschen verändern oder manipulieren zu wollen,
- Appelle oder Anweisungen mit dem Ziel von Verhaltensänderung zu verteilen oder
- den Schuldigen oder Verantwortlichen für ein Geschehen zu suchen.
Beobachtbares Verhalten
Was in den einzelnen Organisationsmitgliedern passiert, ist von außen kaum zu fassen. Das Verhalten und die (verbalen und nichtverbalen) Kommunikationen der Menschen sind jedoch beobachtbar, werden bezeichnet, bewertet und ihnen wird Sinn zugeschrieben, was wiederum zu neuen anschließenden Kommunikationen und Handlungen (Verhalten) führt.
Aus systemtheoretischer Sicht bildet der Strom von Kommunikationen das soziale System und nicht deren Mitglieder, die als so genannte relevante Umwelten bezeichnet werden.
Für die Realität innerhalb einer Organisation bedeutet dies, dass im sozialen System nur existent wird und Realität erlangt, was in die Kommunikation ihrer Mitglieder gelangt. Was in der Psyche des Einzelnen abläuft, bleibt in der systemischen Organisationstheorie deswegen unbeachtet.
Organisationen reproduzieren sich
Organisationen sind bemerkenswert stabil gegenüber dem Austausch von Personen. Unternehmen mit hoher Personalfluktuation, ob beabsichtigt oder unfreiwillig, bleiben trotzdem als Organisationskultur erstaunlich stabil. Es gibt Unternehmen, die werden deutlich älter als Menschen und überleben auch ihre Gründerinnen, deren Geist dennoch oft spürbar bleibt.
Diese Stabilität bezieht eine Organisation aus den vorhandenen und stabil bleibenden Kommunikationsmustern und –strukturen. Die Mitglieder einer Organisation lernen deren Kommunikations- und Beziehungsmuster. Wenn bestimmte Handlungsmuster wiederkehren, prägt dies die Organisation.
Wird beispielsweise ein regelmäßiges Arbeitstreffen immer genau erst dann angefangen, wenn alle Teilnehmer Platz genommen haben, wird dieses Muster vermutlich auch dann weiter praktiziert, wenn ein neuer Kollege dazu kommt, der etwas anderes gewohnt ist.
Erwartungsstrukturen
Noch stärker prägend sind die so genannten Erwartungsstrukturen, also sozial ausgehandelte und gemeinsam vereinbarte Rollen und Regeln. Damit sind nicht alleine die offiziellen Rollen, Berichtswege und Regeln gemeint, sondern die, deren praktische Wirksamkeit die Mitglieder einer Organisation erwarten. Also gerade auch die informellen Rollen und Regeln.
Die Kommunikationen und Handlungen, für die es vorhandene Erwartungsstrukturen gibt, erhalten mehr Aufmerksamkeit als andere Kommunikationen.
Um das Modell in der Abbildung in einfacher Weise zu verstehen, stellen Sie sich eine Blumenwiese vor:
- Wege, die Sie das erste Mal gehen, hinterlassen einen kaum zu erkennenden Trampelpfad. Dies ist der äußere Ring in der Abbildung.
- Wege die öfter gegangen werden, bilden einen deutlich sichtbaren Trampelpfad. Dies soll der mittlere Ring darstellen. Weil sie einfacher zu erkennen sind, werden diese Pfade noch öfter benutzt und mit der Zeit somit immer stärker. Wird ein Pfad längere Zeit nicht mehr benutzt, kann er aber auch wieder zuwuchern.
- Der innere Kreis repräsentiert die befestigten, beschilderten und benannten Wege.
Die Mitglieder einer Organisation wechseln stetig. Neue Kolleginnen kommen, andere verlassen das System. Die Trampelpfade und Wege aber bleiben sichtbar und wirksam – auch die Neuen benutzen Sie automatisch.
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