Der erste Teil dieses Beitrages fokussierte auf die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. In diesem zweiten Teil möchte ich auf die typischen Phasen des Überganges bei der Umstellung auf kollegiale Führung eingehen. Vor allem auf die Vorbereitungsphase, in der die Inhaber den grund­sätz­li­chen Rah­men abzu­ste­cken: Wel­che Mög­lich­kei­ten und Gren­zen, Rechte und Pflich­ten räu­men die Inha­ber der kol­le­gia­len Füh­rung ein?

Überblick

Das Übergangsmodell (siehe Abbildung) zeigt die typischen vier Phasen für die Einführung einer kollegial geführten Organisation:

  1. Vorbereitungsphase
    Als erstes ist der grundsätzliche Rahmen durch die Inhaber abzustecken:
    Welche Möglichkeiten und Grenzen, Rechte und Pflichten räumen die Inhaber der kollegialen Führung ein?
    Anschließend ist zu klären (Konsent), was der Kollegenschaft ggf. fehlt, um diese Rahmenbedingungen zu akzeptieren.
  2. Konzeptionsphase
    Als nächstes ist dieser Rahmen initial auszufüllen und zu konkretisieren:
    Wie soll die Führung ganz konkret organisiert sein? Initial heißt zu bestimmen, wie angefangen wird – danach wird sich die Führung selbstorganisiert weiterentwickeln.
    Typischerweise konzipiert ein Übergangsteam aus Vertretern der Inhaberinnen, der bisherigen Führungskräfte und interessierter Kolleginnen das neue, initiale Organisationsmodell, wobei wiederum abschließend geprüft wird, was die Kollegenschaft insgesamt benötigt, um damit starten zu können.
  3. Operative Selbstorganisation
    Erst jetzt wird das alte Organisationsmodell abgelöst, und alle gemeinsam erproben operativ im gegebenen Rahmen das neue Modell.
    Änderungen an dem Organisationsmodell bleiben übergangsweise noch dem Übergangsteam vorbehalten.
  4. Organisationale Selbstorganisation
    Sobald alle Beteiligten ausreichend Erfahrungen mit dem neuen Modell haben und beweisen konnten, damit wirtschaftlich und sozial ebenso erfolgreich zu arbeiten wie vorher, kann die Kollegenschaft auch die organisationale Selbstorganisation übernehmen, d.h. das Organisationsmodell selbst auch kollegial weiterzuentwickeln. Erst dann ist die Selbstorganisation etabliert.

Die Farben der einzelnen Phasen korrespondieren ganz bewusst mit denen aus dem Beitrag Evolution menschlicher Organisationsformen – auf dem Weg zu Türkis.

Die vier Phasen beschreibe ich nun ausführlicher, wobei dieser Beitrag die erste Vorbereitungsphase (Motivation und Rahmenbedingungen der Inhaber klären) beinhaltet und ich die weiteren Phasen in noch folgenden Blog-Beiträgen vertiefe.

Transitionsphasen

Das Übergangsmodell zeigt die typischen Phasen für die Einführung einer kollegial geführten Organisation. http://kollegiale-fuehrung.de/transition-phasenmodell/

Vorbereitungsphase: Motivation und Rahmenbedingungen der Inhaber klären

Bevor eine kollegiale Führung in einem Unternehmen eingeführt und der Übergang (auch Transition genannt) dorthin gestartet wird, hat die oberste Führung des Unternehmens die Aufgaben,

  • zu klären und zu vermitteln, warum eine Transition sinnvoll ist,
  • die neuen Führungsprinzipien selbst zu verstehen, um die Bedeutung einschätzen zu können,
  • und den Rahmen abzustecken, was künftig kollegial gestaltbar sein soll und was nicht oder ab wann.

Warum überhaupt?

Der Wunsch der Inhaber und Geschäftsführer nach einem Übergang zu einem kollegialen Organisationsmodell wird bei der Kollegenschaft sofort Fragen nach den Gründen auslösen. Deshalb sollten die Inhaber zuerst ihre Motivation ergründen. Dabei werden die einzelnen Inhaberinnen und Geschäftsführerinnen einerseits sehr individuelle und meistens auch persönliche Gründe haben, andererseits auch Gemeinsamkeiten entdecken.

Neben den vielen sachlichen und zumeist abstrakt klingenden Gründen für eine Umstellung (Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sichern usw.) achten die Mitarbeiterinnen meistens sehr aufmerksam auf die persönlichen Gründe.

Ausschließlich Rationalisierungen anzubieten, wird viele Kollegen nicht befriedigen. Deswegen sollten Inhaber in sich hineinspüren, was sie hierzu antreibt und welche Hoffnungen und Sorgen sie leitet. Diese Gefühle sollten den Mitarbeitern ebenso zugemutet werden, wie die sachlichen und rationalen Gründe.

Systemische Einzel- und Gruppen-Coachings der Inhaber und Geschäftsführer sind ein mögliches unterstützendes Mittel, die notwendige Klarheit zu gewinnen und verständlich kommunizieren zu können. Manchmal helfen auch ein paar Tage Klosteraufenthalt, wie Bodo Janssen (Inhaber der Hotelkette Upstalsboom) berichtet [Janssen2016].

Üblicherweise können nicht alle Gründe von den Mitarbeitern nachvollzogen werden, denn sie leben als Angestellte in einem anderen sozialen und wirtschaftlichen Kontext als ein Inhaber – gerade wenn es um die mögliche Last von Verantwortung geht. Auch wenn nicht alles von jedem verstanden werden kann, so ist es völlig legitim, wenn sich Inhaber mit all ihren Gründen für ein neues Organisationsmodell äußern.

So wie Angestellte ihre individuellen Interessen, Bedürfnisse oder ihre aktuelle Verfassung ihrem Arbeitgeber zumuten, so dürfen auch die spezifischen Bedürfnisse der Inhaber Raum finden. Die Interessen der Gemeinschaft stehen dabei stets über den individuellen. Einzelbedürfnisse dürfen nicht das Gesamtsystem dominieren – das gilt für Mitarbeiterinnen ebenso wie für Inhaberinnen.

Nichtsdestotrotz können die Konsequenzen höchst unterschiedlich sein: Wenn ein Mitarbeiter sein Leben grundsätzlich ändern möchte, kann er kündigen; er ist weitgehend für sich selbst verantwortlich. Wenn ein Inhaber-Geschäftsführer entscheidet, das Unternehmen zu verlassen, kann das die Existenz und Zukunftsfähigkeit der Organisation insgesamt bedrohen und Unsicherheiten für viele andere Menschen auslösen. Für die Betroffenen ist es deswegen sehr relevant, die Gründe der Inhaber und Geschäftsführer zu verstehen.

Rahmenbedingungen klären

Notwendige Rahmenbedingungen lassen sich systematisch durch negatives Denken gewinnen: Was muss passieren, dass die kollegiale Führung scheitert, Selbstorganisation nicht funktioniert oder die Beteiligten nicht mehr ausreichend überzeugt sind? Die Antworten darauf führen zu den Inhalten der Rahmenbedingungen. Ansonsten gilt: Was nicht verboten ist, ist erlaubt.

Folgende Fragen haben die Inhaberinnen zusammen mit der Geschäftsführung zu beantworten:

  • Was soll kollegial gestaltbar sein und was nicht?
  • Welche Möglichkeiten und Grenzen, Rechte und Pflichten räumen die Inhaber der (Geschäfts-)führung ein? Was darf entschieden werden? Was bedarf welcher Zustimmung?
  • Wie kann das kollegial Gestaltbare von dem nicht Gestaltbaren unterschieden werden? Welche Regeln, Kriterien, Heuristiken, Zuständigkeiten, Prinzipien, Werte und Ähnliches sollen hierfür gelten?

Beispielsweise könnten der Erwerb und die Veräußerung von Unternehmensbereichen, die Anmietung von Büro- oder Geschäftsräumen, ein Standortwechsel, die Expansion ins Ausland oder Verträge und Verpflichtungen über € 100.000 nicht zum kollegial Gestaltbaren gehören.

Vielleicht müssen aber auch solche Entscheidungen gar nicht konkret aufgelistet werden, sofern die Inhaber an entscheidenden Stellen (wie alle anderen Mitarbeiter auch) Vetomöglichkeiten haben, wenn beispielsweise in einem obersten Führungskreis im soziokratischen Konsent mit Vetomöglichkeit entschieden wird und ein Vertreter der Inhaber dort garantiert Mitglied ist.

In der Abbildung ist der von den Inhabern vorgegebene Rahmen rot dargestellt. Die Erarbeitung dieses Rahmen fällt in die Vorbereitungsphase.

Abschlusskonsent der ersten Phase

Die erste Phase endet mit einem Konsent der betroffenen Kollegenschaft. Die Inhaber stellen die Rahmenbedingungen bereit – aber passt der Rahmen auch für die Kollegenschaft, die diesen nun ausfüllen soll?

Deswegen sind die Rahmenbedingungen gemeinsam zu beschließen.

Die Inhaber arbeiten sie aus. Es ist ihr Recht, die Rahmenbedingungen festzulegen. Aber so, wie sich ein angestellter Geschäftsführer entscheiden muss, ob er den Geschäftsführervertrag mit den damit verbundenen Rahmenbedingungen unterschreibt, so hat bei einer kollegialen geführten Organisation die Kollegenschaft zu entscheiden, ob sie die Bedingungen akzeptieren kann.

Ein soziokratischer Konsent mit Einwandintegration ist ein aufwendiger, aber probater Weg. Er stellt durch passende Moderation sicher, dass alle Beteiligten die Rahmenbedingungen verstanden haben, wichtige Fragen dazu geklärt und ggf. weitere Ergänzungen vereinbart werden.

Die nächste Abbildung zeigt ein reales Beispiel. Die obere Formulierung wurde seitens der Geschäftsführung als Entscheidungsvorschlag eingebracht. Nach ca. 20 Minuten Fragenklärung und Einwandintegration wurden drei Ergänzungspunkte vereinbart. Schließlich wurde die Entscheidung ohne Vetos und ohne Einwände von allen akzeptiert.

Konsent Abschluss Phase 1

Beispiel aus einem realen Konsent zum Abschluss der ersten Phase.

 

Was ist zu tun, wenn Vetos oder schwere Einwände bestehen bleiben? In diesem Fall gibt es mindestens die folgenden Möglichkeiten:

  • Alles bleibt, wie es ist. Die Geschäftsführung respektiert, dass die Kollegenschaft unter diesen Bedingungen sich nicht selbst organisieren und führen möchte. Vor allem, wenn es deutliche Vorbehalte vieler Kollegen Ggf. wird zu einem späteren Zeitpunkt mit anderen Rahmenbedingungen ein neuer Versuch gestartet.
  • Sofern nur sehr wenige Kollegen ein Veto haben, alle anderen aber den Weg in die kollegiale Führung gehen wollen, besteht die Möglichkeit, die Vetogeber bewusst (aus der Organisation) auszuschließen. Sie hätten in diesem Fall kein Stimmrecht mehr und die Organisation muss zusätzlich zu der Umstellung auf eine kollegiale Organisation dann auch die fürsorgende Verantwortung für den Kollegenausschluss übernehmen.

Jede größere strategische oder organisatorische Veränderung in einem Unternehmen kann dazu führen, dass dies für einige Mitarbeiter nicht passt, ebenso wie andere sich vielleicht genau dadurch angezogen fühlen. Die Zukunftsfähigkeit der Organisation hat im Konfliktfall stets Vorrang vor den individuellen Bedürfnissen.

In Kürze setze ich diese Serie fort mit den nächsten Phasen des Übergangsmodells.

Diese Blogserie ist übrigens ein Auszug aus unserem im Herbst 2016 erscheinenden Buches „Das kollegial geführte Unternehmen„.