In unserem Buch stellen Claudia und ich unter anderem auch ein Entwurfsmuster für Holding- und Konzernstrukturen vor. In unserer letzten Unternehmer-Werkstatt nahmen Vorstände von zwei größeren Unternehmen teil, für deren spezielle Situation dieses Muster jedoch nicht ausreichte. Weil das Thema für Großunternehmen aber durchaus typisch ist, möchte ich im Folgenden einige Aspekte in generalisierter Form diskutieren.
Das Entwurfsmuster in unserem Buch geht davon aus, dass es nicht sinnvoll ist, Kreisstrukturen mit tausenden Mitarbeitern zu betreiben. Hier wirkt die nach dem Anthropologen Robin Dunbar benannte Dunbar-Zahl. Sie beträgt allgemein 150, je nach Kontext und Person auch zwischen 100 – 200 Personen. Dunbar sieht die Anzahl als Eigenschaft des Neocortex und sagt, dass eine einzelne Person nicht mehr als rund 150 soziale Beziehungen gleichzeitig unterhalten kann. Diese Größe scheint auch für Organisationen zu gelten, sodass eine Einzelorganisation idealerweise nicht mehr als 200 Personen umfasst.
Der Zweck einer kollegial geführten Kreisorganisation im Gegensatz zur auf Führungskräften basierenden pyramidalen Linienorganisation ist, eine höhere interne Komplexität zu ermöglichen, um der gestiegenen äußeren Komplexität angemessen begegnen zu können. Die höhere interne Komplexität entsteht durch die Ermöglichung erheblich vielfältigerer und ungeplanter Kommunikations-, Arbeits- und Entscheidungsstrukturen – die durch die Möglichkeiten unseres Neocortex jedoch in relevanter Weise begrenzt wird.
Wir schlagen deshalb also vor, Einheiten von maximal 200 Kollegen zu bilden und diese (formaljuristischen oder virtuellen) Einzelunternehmen wiederum durch eine übergeordnete Einheit in der Art einer Holding zu führen. Diese Holding betrachtet die Einzelorganisationen als organisationsexterne Beteiligungen und Investitionen, also als Objekte der Wertschöpfung der Holding. Die Qualität der Beziehung zwischen Holding und Einzelorganisation ist also eine völlig andere als die Qualität der Beziehungen von Kreisen innerhalb einer Einzelorganisation. Sie ist distanzierter, damit die Neocortex-Grenze nicht relevant wird.
Unser Skalierungsprinzip lautet also, Einzelorganisationen mit maximal 200 Mitgliedern (oder gerne auch deutlich weniger) zu bilden und diese Organisationseinheiten dann hierarchisch distanzierend unter eine Holding genannte Koordinations- und Verwaltungseinheit zu hängen.
Das von der Firma W. L. Gore & Associates (gegründet 1958, mittlerweile ca. 9.000 Mitarbeiter weltweit) bekannte Zellteilungsprinzip funktioniert ganz ähnlich. Gore umgeht die aus der Dunbar-Zahl resultierenden Herausforderungen dadurch, dass sich ein Unternehmen ab einer bestimmten Größe in zwei juristisch und inhaltlich eigenständige Unternehmen aufteilt. Die Einzelunternehmen gehören dann wiederum zu einer gemeinsamen Holding.
Filialprinzip und Zellteilungsprinzip
Es ginge jedoch auch ganz anders: Ein Großunternehmen könnte man sich auch als eine einzelne sehr große Kreisorganisation vorstellen. Ein Unternehmen mit beispielsweise 9.000 Mitarbeitern würde dann vielleicht aus 60 Geschäftseinheiten (beispielsweise Regionen oder Produktgruppen) mit je ca. 150 Mitarbeitern verteilt auf jeweils 10 – 20 Geschäfts- und Dienstleistungskreisen bestehen. Inklusive weiterer Koordinationskreise würden dann insgesamt über 1.000 Einzelkreise existieren. Unternehmen, die in dieser Weise organisiert sind, sind in der Regel Filialorganisationen wie dm drogeriemarkt oder Buurzorg, ansonsten wären sie vermutlich unüberschaubar. Für Filialorganisationen funktioniert diese Art der Skalierung, da sie die Grenzen der Dunbar-Zahl implizit durch räumliche Distanzen umgeht.
Großunternehmen mit einem großen und differenzierten Zentrum (also nicht Buurzorg, deren Verwaltung vergleichsweise winzig ist) und ebenso multinational aktive Unternehmen prägen eher Mischformen zwischen Filial- und Holdingprinzipien aus.
Wenn das Zellteilungsmuster nicht hilft
In unserem letzten Unternehmer-Workshop haben wir nun einen Anwendungsfall kennengelernt, für den die Filialskalierung unpassend ist und auch das Zellteilungsmuster zumindest nicht so passen würde, wie es Gore zugeschrieben wird. Hier geht es speziell darum, dass Mitarbeiter aus sehr unterschiedlichen und eigenständigen Tochterunternehmen immer mal wieder gemeinsam neue Geschäftsideen ausprobieren, gemeinsame Projekte bearbeiten oder in anderer Weise über Einzelunternehmensgrenzen hinweg kooperieren.
Für jede einzelne übergreifende Zusammenarbeit dieser Art entstehen also faktisch eine neue, ggf. temporäre und in der Regel kleine Organisationseinheit. Bildet diese nun sofort eine neue eigenständige Kreisorganisation unterhalb der Holding? Oder wird sie zunächst Teil einer der bestehenden Kreisorganisationen im Konzernverbund (und wenn ja, in welcher)?
Umgang mit Fluktuation
Durch diese unternehmensübergreifenden Kooperationen werden aus den bestehenden Kreisorganisationen Kollegen abgezogen, wovon deren jeweilige bisherige Wertschöpfung betroffen ist. Für die Kreise innerhalb einer Kreisorganisation kann der Abgang eines einzelnen Kollegen bereits ein schmerzvoller Verlust sein. Andererseits ist genau dies eine typische Eigenschaft und die Stärke von Organisationen, dass ihre Mitglieder prinzipiell austauschbar sind. Unternehmen und ihre Organisationseinheiten kommen mit der Fluktuation von Mitarbeitern mehr oder weniger gut zurecht.
Jede Organisationen muss in ausreichendem Maße in der Lage sein, Abgänge und Wechsel schnell kompensieren zu können, durch personelle Reserven, Umverteilung von Arbeit, Neueinstellung oder Ähnliches. Entsprechend ist dies in dem hier beschriebenen Kontext auch keine besondere Herausforderung.
Wer entscheidet?
Eine weitere mögliche Herausforderung resultiert aus der Frage, wer eigentlich darüber entscheidet, dass ein Mitarbeiter in eine neue Zelle wechselt. In einer pyramidalen Linienorganisation kann dies zu Spannungen führen, wenn entsprechende Anforderungen und Freigaben durch viele Hierarchieebenen hindurch prozessiert werden müssen. Die Unternehmen unserer Workshop-Teilnehmer waren, obwohl Linienorganisationen, anscheinend flexibel genug aufgestellt, dass diese möglichen Spannungen nicht als Problem gesehen wurden.
In einer kollegialen Kreisstruktur funktionieren diese Zugehörigkeitsentscheidungen ebenso halbwegs einfach. Je nachdem, welche Prinzipien ein Kreis vereinbart hat, fragt ein Kollege, der in eine neue Zelle wechseln möchte, seinen Kreis, ob es Einwände dagegen gibt, initiiert er die Aufnahme eines Nachfolgers oder teilt seine Entscheidung sogar nur seinem (Noch-)Kreis mit.
Welcher Oberkreis?
Offen ist jetzt immer noch die eingangs bereits formulierte Frage: Entsteht mit einer Startup-Zelle eine komplett neue Kreisorganisation unterhalb der Holding (Aussaat-Prinzip), bleibt sie erstmal Teil einer bestehenden (Fruchtholz-Prinzip), gibt es noch andere Varianten und wer entscheidet darüber?
Jeder Kreis innerhalb einer Organisation sollte zur Gewährleistung der Gesamtintegrität einen eindeutigen Oberkreis (ggf. das Plenum) haben, der ihn ggf. auch wieder auflösen kann und von dem er einen Unterbereich von Zuständigkeit und Verantwortung übernimmt. Würden Startup-Kreise stets in der Art von Fruchttrieben bestehender Geschäftskreise entstehen, würde die Kreisstruktur im Laufe der Zeit sehr ungleichmäßig wachsen. In einigen Bereichen würden Geschäftskreise immer mehr Unterstrukturen bilden, während andere klein blieben.
Irgendwann wäre die Organisation dann so groß (größer als ca. 200 Mitglieder), dass eine Restrukturierung auf der Makroebene sinnvoll wird (Ableger-Prinzip). Dann trennt sich entweder eine kleinere Unterstruktur mit den neuen bzw. jüngeren Teilen aus der bestehenden ab oder eine große Organisation wird nach anderen Kriterien in zwei oder mehr möglichst gleich große eigenständige Organisationen geteilt.
Eine wichtige Frage dabei ist: Wem gehört die neue Einheit? Wer ist der Inhaber? Wer investiert in die neue Geschäftsidee bzw. profitiert von ihr? Fungiert die ursprüngliche Organisation jetzt als Inhaber der neuen (Integriertes Start-up)? Oder gibt die ursprüngliche Einheit die Inhaberschaft für die neue an den eigenen Inhaber, also an die Holding ab (Externalisiertes Start-up)?
Wachstum von Innen (Zentrum) oder von Außen (Peripherie) getrieben?
Für den Fall, dass Ableger entstehen, wird in vielen Fällen die Übertragung der Inhaberschaft an die existierende Holding der einfachere Weg sein, da der Zweck einer Holding eben genau die Verwaltung solcher Beteiligungen ist. Würden die Ableger stattdessen von der bislang operativen Organisation als eigene Unterorganisationen gehalten werden, müsste sie erst einmal zusätzliche Prozesse und Strukturen aufbauen, um das Geschäftsmodell einer Holding auch betreiben zu können. Ein Ableger, bei der die neuen Organisationseinheiten direkt unter die gemeinsame Holding gehängt werden, ist also in der Regel die einfachere Lösung. Entscheidungsmacht, Verantwortung und Risiken wandern damit nicht von der Peripherie ins Zentrum einer Organisation, sondern von der Peripherie einer Organisation ins Portfolio einer anderen Organisation.
Ob die Entscheidung zur Organisationsteilung von den betroffenen Kreisen an die Holding herangetragen wird oder der Holding eine lokal entschiedene Zellteilung nur noch zur Integration angeboten wird, muss gar nicht prinzipiell entschieden werden. Beides ist möglich und kann von Fall zu Fall und abhängig vom Zeitpunkt festgelegt werden.
Schnell wachsende Filialorganisationen wie beispielsweise dm drogeriemarkt arbeiten meistens so, dass eigene Abteilungen in der Zentrale existieren, deren Zweck die Schaffung neuer Filialen ist (Wachstum von innen nach außen getrieben). Buurzorg hingegen wirkt eher so, als würde dort das Wachstum von außen nach innen verlaufen. Beiden gemeinsam ist jedoch, dass immer nur das gleiche Geschäftsmodell mit den gleichen Produkten und Dienstleistungen geklont wird. Anders als beispielsweise bei W. L. Gore & Associates, wo meistens individuelle Produkte und Geschäftsmodelle entstehen.
Und dann gibt es sicherlich noch Mischformen. Beispielsweise wenn eigentlich die gleichen Produkte und Dienstleistungen repliziert werden sollen, jedoch regionale Kontexte spezifische Adaptierungen verlangen. Dies ist oft bei internationalen Expansionen anzutreffen, wo kulturelle oder andere Besonderheiten in den einzelnen Ländern oder Wirtschaftszonen dies erfordern.
Umgang mit Lean-Startup-Zellen
Wie aber vorgehen, wenn neue Zellen im Sinne eines Lean-Startups entstehen, also offen bleibt, ob diese erfolgreich sein werden und vor allem, welche Produkte und Geschäftsmodelle am Ende herauskommen. Im Lean-Startup-Modell werden in möglichst kurzer Zeit immer wieder neue Geschäftsmodelle und Produkte entwickelt und real verprobt, um einerseits herauszufinden, was wirklich für die Herstellung bzw. Leistungserbringung notwendig ist und anderseits zu klären, ob ein ausreichend nachgefragter und profitabler Kundennutzen entsteht.
Viele Holdings stellen auch zentrale Dienstleistungen bereit, beispielsweise Lohnbuchhaltung, Arbeitgeberschaft, technische Infrastruktur, Gebäudemanagement etc. Je mehr zentrale Dienstleistungen die Holding bietet, desto weniger Dienstleistungskreise sind innerhalb einer Einzelorganisation vorhanden. Im Falle einer Organisationsteilung verändert sich in diesem Fall dadurch für diesen Kontext dann auch entsprechend weniger, als wenn die Einzelorganisationen solche Dienstleistungen selbst bereitstellen würden.
Ausgangspunkt für diesen Text war die Situation, dass Geschäftskreise aus unterschiedlichen Tochtergesellschaften gemeinsam Startup-Kreise oder Projekte gründen. Sofern dies regelmäßig passiert, wäre es ineffizient, wenn die verschiedenen Töchter jeweils individuell entsprechende Kooperationen aushandeln. Um die entsprechenden Transaktionskosten zu minimieren, kann die Holding stattdessen Standards, Prinzipien und Dienstleistungen als (Geschäfts-Inkubations-)Plattform bereitstellen. Oder sogar eine spezielle Konzerneinheit unterhalb der Holding gründen, die diese Aufgaben als Kerngeschäft übernimmt.
Das entsprechende Angebot könnte mit der Organisation interner Gründungswettbewerbe beginnen, mit dem Einsammeln von internem (oder externem) Wagniskapital weitergehen, die Bereitstellung von Basisinfrastruktur und Verwaltungsdienstleistungen umfassen und mit der möglichen Liquidierung, Konzernintegration oder (Teil-)Veräußerung enden.
Zusammenfassung
In der nebenstehenden Abbildung sind einige der hier skizzierten Fälle zusammengefasst. Die Abbildung zeigt eine Holding und drei Tochterunternehmen, von denen eines (links unten) aus einer Reihe von Filialen besteht und ein anderes (rechts) ein Inkubator für neue Geschäftsmodelle und Produkte darstellt.
In der Holding befindet sich exemplarisch eine zentrale Konzerndienstleistung (bspw. Lohnbuchhaltung), die an Stelle eines entsprechenden Einzelunternehmen-spezifischen Dienstleistungskreises tritt (deswegen dort mit gestricheltem Rand dargestellt).
Die Einzelunternehmen entsenden in diesem Beispiel außerdem je ein Mitglied aus dem Geschäftsführungskreis in das zentrale Management-Board (MMB), also einem konzernweiten Kooperationskreis (orange dargestellt).
Die Inhaberbeziehungen sind mit dunkelgrauen Linien dargestellt. Der Zweck der Holding ist die Verwaltung von Beteiligungen. Ein Mitglied aus einem solchen Beteiligungsverwaltungskreis (BV) repräsentiert dann im jeweiligen Tochterunternehmen den Gesellschafter.
Im mittleren Tochterunternehmen wurde ein Start-up-Kreis gegründet (integriertes Start-up genannt), in dem auch Mitglieder aus einem anderen Tochterunternehmen mitwirken, dass aber Bestandteil des mittleren Tochterunternehmens ist.
Das externalisierte Start-up in der Inkubator-Organisation repräsentiert hingegen die Möglichkeit, Einzelunternehmen übergreifende Kooperationen im Konzern zu betreiben, in dem diese in einem speziell dafür vorgesehenen Tochterunternehmen angesiedelt werden.
Selbstverständlich kann jedes Tochterunternehmen noch zahlreiche weitere Geschäftskreise, interne Dienstleistungskreise und Kooperations- und Führungskreise beinhalten, die hier der Einfachheit halber nicht notiert sind.
Betrachtet man die Holding für sich, so lassen sich die dort dargestellten konzernweiten Dienstleistungskreise als Geschäftskreise ansehen. Für eine Holding sind die Beteiligungsverwaltung und Bereitstellung konzernweiter Dienstleistungen schließlich das Kerngeschäft, also die direkte Wertschöpfung, wenngleich diese möglicherweise innerhalb der Konzerngrenzen bleiben.
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