In diesem Beitrag berichte ich über die aktuell laufende Gründung der Gilde Agile Organisationsentwicklung, wie es dazu kam, welchen Zweck die Gilde verfolgt und wie der aktuelle Stand ist.

Claudia Schröder und ich (Bernd Oestereich) veranstalten mehrfach im Jahr eine Fortbildung für agile Organisationsbegleiter zum Thema kollegial-selbstorganisierte agile Organisationsentwicklung. Unsere Teilnehmerinnen (über 350 in den letzten Jahren) sind vorwiegend gestandene (Solo-/Klein-)Selbständige mit einem Interesse, ihre Arbeitsschwerpunkte und ihr spezielles Erfahrungswissen auch wahrnehmbar und unterscheidbar nach außen darzustellen.

So wurden wir auf den Alumniveranstaltungen unserer Werkstatt für kollegiale Führung immer wieder zum Thema Zertifizierungen und nutzbare Qualitätsstandards angesprochen. Und als bekannte Buchautoren zum Thema wurden wir auch vielfach von Kunden angesprochen, welche Organisationsbegleiterinnen wir denn empfehlen könnten.

Natürlich hätten wir auch unsere Fortbildung mit einem anglizistischen „Certified Agile […]“ versehen können – doch zum einen messen wir proprietären (anbieterspezifischen) Zertifizierungen einen geringeren Wert bei und zum anderen stellten wir uns die Frage, welche Qualitätsunterschiede genau wir eigentlich damit belegen möchten und (anerkannt und glaubwürdig) könnten.

Stattdessen hatten wir für unser eigenes Fortbildungsangebot eine anerkannte systemische Coaching- oder Beratungsausbildung (also andere bestehende Zertifikate) als Teilnahmevoraussetzung definiert, um ein halbwegs benennbares Niveau zu erreichen.

Wir waren uns in unserem Alumnikreis schnell einig, dass wir jedoch nicht noch einen klassischen Berufs- oder Zertifizierungsverband haben möchten und suchten stattdessen nach kollegialen, integralen und agilen Alternativen.

Auf einem Alumnitreffen in Zürich (9/2018) entstand angesichts der dort in der Altstadt sichtbaren Zunft- und Gildenhäuser die Idee, sich am Konzept der (Handwerks-) Gilden zu orientieren. Historisch sind Gilden vor allem Handwerksbünde gewesen, von denen es in einem Ort immer nur eine pro Handwerk gab. Und sie hatten genau die Zwecke, die auch wir anstreben:

  1. Intern das Handwerk gemeinsam weiterentwickeln und
  2. Qualitätsstandards nach Außen setzen.

So entwickelte sich die Idee zu einer Gilde für agile Organisationsentwicklung.

Mittlerweile läuft übergreifend über Deutschland, Österreich und die Schweiz der Gründungsprozess. Der initiale Rahmen (Name, Zweck, Satzung, Basiskreise und -rollen, Basisprozesse, Aufnahmekriterien und -verfahren) steht.

Die agile Gilde ist eine Gemeinschaft von Fachleuten für kollegiale Selbstorganisation und agile Organisationsentwicklung, die

  • das Thema gemeinsam weiterentwickeln,
  • sich beruflich gegenseitig unterstützen,
  • gemeinsame Qualitätsstandards setzen,
  • dem Markt eine qualitative und inhaltliche Orientierung bieten.

So lautet die Formulierung des Zweckes. An Stelle eines Zertifikates kann man also eine Gilden-Mitgliedschaft erwerben, die ähnlich wie übliche Zertifikate an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist. Zusätzlich zum Wissen berücksichtigen wir vor allem auch Können und Haltung – dies zu operationalisieren, hat uns einige Zeit beschäftigt (kann man Haltung objektivierbar messen?). Wie bei einer Handwerksgilde gibt es klare Zugangsbeschränkungen, man muss Meisterin oder Meister in seinem Fach sein und dies soll ein unterscheidbares Qualitätsmerkmal für den Markt sein.

Um die Unabhängigkeit von bestimmten Beratungs- oder Trainingsunternehmen zu gewährleisten, die bei manchen Berufs- und Dachverbänden auf der Hinterbühne fehlt, nutzen Claudia und ich nun die Gelegenheit, uns aus dem Fokus zu nehmen. Es wird also keine exklusive Bindung der Gilde an uns oder die Kollegiale Führung geben. Die Gilde soll grundsätzlich offen und unabhängig sein. Außer, dass wir hierzu auf die emanzipierenden Fähigkeiten kollegial-selbstorganisierter Führungsprinzpien vertrauen, gehört dazu auch, dass wir unsere Beraterinnenliste und andere freie Ressourcen an die Gilde übergeben.

Neben dem Zweck, im Markt qualitative Unterschiede sichtbar zu machen, wird die Gilde vor allem das Thema agile Organisationsentwicklung gemeinsam weiterentwickeln. Durch den Austausch über Werkzeuge, Methoden, Praxiserfahrungen und durch kollegiale Fall-Reflexion. Auch werden sich die Mitglieder beruflich gegenseitig unterstützen, bspw. durch gemeinsame Angebote und Auftragswahrnehmung, Empfehlungen etc.

Diese Aspekte sind im Entstehungskontext der Gilde jedoch nicht grundsätzlich neu, sondern seit Jahren gelebte Praxis in den mehrfach jährlich stattfindenden selbstorganisierten Alumnitreffen („Forum für kollegiale Führung“) unserer Ausbildungsabsolventinnen. Nur, dass diese Treffen dann nicht mehr unter dem Dach unserer Werkstatt für kollegiale Führung stattfinden, sondern eben im Rahmen der Gilde.

Gerade weil Claudia und ich „Kollegiale Führung“ als ein (inhaltlich wie markenrechtlich) offenes und kontinuierlich gemeinschaftlich weiter zu entwickelndes Modell ansehen, erscheint uns die Gilde als ein passender unabhängiger Ort dafür.

Die Gilde Agile Organisationsentwicklung befindet sich gerade in Gründung und im Aufbau, erprobt gerade in agiler Weise prototypisch den Aufnahmeprozess und die initiale (ehrenamtliche) kollegiale Kreis- und Rollenstruktur und daher kann es noch ein paar Wochen oder Monate dauern, bis sie ausreichend arbeitsfähig ist.

Wir sind damit übrigens auch selbst ein Erprobungsraum für kollegiale, integrale und agile Selbstorganisation – was mit der entsprechenden Satzung und formalen Konstitution beginnt und sich in der Anwendung der gängigen Organisationsprinzipien und -werkzeuge fortsetzt.

Wir werden weiter berichten.

Bernd Oestereich