Nachdem wir im letzten (dritten) Teil dieser Blogserie über das Sogprinzip (Pull-Prinzip) geschrieben hatten, vertiefen wir hier den Prozess des Verantwortungsüberganges vom Prinzip Führungskraft zum neuen Prinzip Führungsarbeit. Im Rahmen einer kollegial geführten Organisationsentwicklung ziehen sich Kolleginnen schrittweise Verantwortungsbereiche. Damit dies gut funktioniert, brauchen alle Beteiligten einerseits Klarheit, wer für was verantwortlich ist und zum anderen einen vertrauensbildenden Prozess für den Wechsel von Verantwortung vom alten ins neue Führungssystem.

Ein wichtiges Werkzeug ist dabei die Delegationsmatrix (siehe Abbildung). In dieser werden verschiedene Verantwortungsbereiche genannt und in Spalten markiert, ob die Geschäftsführung/Führungskraft die Verantwortung behält oder ob die Kollegenschaft dies übernehmen kann. Außerdem werden eventuelle Besonderheiten (Delegation an bestimmte Kreise/Rollen, Informations- und Konsultationsanforderungen, Vetomöglichkeiten etc.) benannt.

Obwohl wir einerseits Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche klar benennen und sichtbar machen möchten, geht es ebenso stets darum, dass die involvierten und betroffenen Personen in einer vertrauensvollen und belastbaren Arbeitsbeziehung stehen.

Jede Organisationsentwicklungsmaßnahme hat mehr oder weniger Auswirkungen auf die Arbeit einiger, manchmal auch sehr vieler Kolleginnen. Wenn Zuständigkeiten und Abläufe verändert werden, geben einige Kollegen Verantwortung oder Aufgaben ab und andere übernehmen sie. Einige Kollegen werden ermächtigt oder mit besonderen Entscheidungen beauftragt. Diese Übergaben und Ermächtigungen möchten wir als dialogischen Prozess verstehen, der durch unterschiedliche und meist moderierte Kommunikationsformate gestaltet wird, beispielsweise orientiert an der abgebildeten Kontextbrücke.

Die formale Übergabe und Veränderung von Verantwortung kann schnell umsetzbar sein, auf der sozialen Ebene bedarf es meistens eines gegenseitigen Vertrauens. Wer Verantwortung neu übernimmt oder etwas Neues ausprobiert, bekommt einen Vertrauensvorschuss der Kolleginnen oder bisherigen Verantwortlichen. Die neuen Handlungen der Person werden von den anderen beobachtet und die Vertrauenswürdigkeit wird geprüft und bewertet: Wird die Person der Aufgabe gerecht? Macht sie es ausreichend gut? Wie können wir sie gut unterstützen?

Ebenso kann sich auch die verantwortliche Person solche Fragen stellen: Was brauche ich noch? Wie bewerten die anderen meine Arbeit? Bin ich selbst zufrieden?

Je besser alle Beteiligten in Kontakt stehen und sich über solche Fragen austauschen, ihre Erwartungen klären, fallbezogen Feedback geben und eventuelle Spannungen identifizieren desto einfacher und auch schneller kann die Veränderung gelingen.

Da wir Organisationsentwicklung nicht mehr als große Projekte begreifen, sondern als einen stetigen Fluss kleiner elementarer Erprobungen, sind die Erwartungen, Zuschreibungen und Verantwortlichkeiten weniger diffus und können sich auf einzelne oder zumindest sehr wenige Personen beziehen.

Ermächtigende Entwicklung

Selbstorganisation wird immer noch mit dem Vorurteil konfrontiert, zu völlig ineffizienten und aufreibenden Endlosdiskussionen zu führen. Mehrheitsentscheidungen stehen im Ruf, Mittelmaß zu produzieren.

Deswegen gilt das Prinzip, möglichst keine inhaltlichen Entscheidungen in Teams oder Gruppen zu treffen, sondern stattdessen die Person oder Personen zu bestimmen, die dann über die Inhalte entscheiden.

Selbstermächtigung ist vertretbar, wenn die selbstermächtigten Handlungen in kleinen und gut verkraftbaren Schritten erfolgen und die Handlungen und Ergebnisse systematisch reflektiert werden, um gemeinsam daraus zu lernen. Selbstermächtigung beginnt mit Mut und einem Vertrauensvorschuss. Die Größe des Vertrauenschusses bestimmt die Größe der selbstermächtigten Schritte. Der gemeinsame Lernprozess bestätigt in der Regel den Vorschuss und schafft so systematisch neues Vertrauen.

Je sicherer die Beteiligten sich ihrer gemeinsamen Werte und Prinzipien sind, desto belastbarer und mutiger wird die Selbstermächtigung sein.

Voraussetzung ist dafür eine echte Eigenverantwortlichkeit. Das heißt, die selbständig handelnden Personen müssen auch unmittelbar die Konsequenzen ihres Handelns spüren können. Wenn jemand beispielsweise einen neuen Kollegen einstellt oder eine neue Maschine kauft, dann sollte er auch selbst mit dem neuen Kollegen zusammenarbeiten müssen oder die Maschine selbst benutzen müssen.

Die Kontextbrücke ist das Bindeglied zwischen der Delegationsmatrix und dem (im dritten Teil der Blogserie dargestellten) Führungsmonitor (Team-Board).

Ausblick

Im nächsten Teil der Blogserie wird es um die äußere und innere Prozess- und Struktursicherheit gehen.