Still confused – but on a higher level”

Zeich­nung: Fried­helm Feld­kamp (mehr auf Face­book: Sisam Ben)

Einer der großen Unterschiede zwischen “klassisch” gedachten Veränderungsprozessen und agilen, kollegial geführten Veränderungen in Organisationen ist der Umgang mit Unsicherheit. 

Wie geben wir als agile Organisationsbegleiter*innen Sicherheit – ohne eine trügerische Sicherheits-Illusion zu erzeugen?

Der Umgang mit Unsi­cher bringt wie kaum ein ande­res emo­tio­na­les The­ma die Unter­schie­de der Ansät­ze für Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung bes­ser auf den Punkt. 

Auf der einen Sei­te baut die “klas­si­sche” Ver­si­on des Chan­ge Manage­ments durch Jahres-Pläne und ein umfang­rei­ches Inter­ven­ti­ons­de­sign von Bera­ter­sei­te schö­ne Sicher­heits­il­lu­sio­nen auf. Das gibt Sicher­heit. Das erleich­tert den Start. 

Auf der ande­ren Sei­te ver­wei­gern wir als kollegial-agile Organisationsbegleiter*innen die­se Illu­si­on der siche­ren Lan­dung in einem klar defi­nier­ten Ziel­ge­biet. Wir zei­gen die “Wol­ken­me­ta­pher (Gra­fik von Bernd Oes­te­reich unten) als Sinn­bild für das agi­le Vor­ge­hen – und für das Han­deln unter der Unsi­cher­heit kom­ple­xer Wech­sel­wir­kun­gen. Man­che Men­schen erschreckt das.

Es gibt in der agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung kei­ne Ziel­vor­ga­ben. Das wäre kei­ne pas­sen­de Ant­wort auf die Kom­ple­xi­tät und die Unplan­bar­keit der Welt. Statt des­sen gibt es eine rich­tung­wei­sen­de Grund­idee von Sei­ten der Inhaber*innen oder des Top-Managements. Es gibt Rah­men­set­zun­gen und hand­lungs­lei­ten­de Prin­zi­pi­en. Es gibt kei­nen straff kon­trol­lier­ten Plan, son­dern eine im bes­ten Fall “evo­lu­tio­nä­re” Entwicklung. 

Das kann den Start durch Ver­un­si­che­rung erschwe­ren. Doch die­ses Vor­ge­hen erleich­tert mei­nes Erach­tens das Ankom­men in einem tat­säch­lich zum Bes­se­ren ver­än­der­ten Zustand.

Die Wol­ken­me­ta­pher, das Sinn­bild für Han­deln unter Unsicherheit

Unsicherheit kann belasten – und erleichtern

Die Zeich­nung zu die­sem Blog-Beitrag ent­stand in einer Ver­an­stal­tung zur kol­le­gia­len Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung bei einer kirchlich-sozialen Orga­ni­sa­ti­on mit rund 3500 Mitarbeiter*innen. Der Vor­stand erklär­te zum Beginn das WOFÜR des Kol­le­gi­al geführ­ten Unter­neh­mens. Die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung erklär­te, wie sie die Ver­än­de­run­gen aktiv beglei­tet. Und ich als “Agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­te­rin” erklär­te, wie so ein Pro­zess funk­tio­nie­ren kann. 

Dann kam die Fra­ge nach Etap­pen­zie­len und Stra­te­gien. Und die Fra­ge: “Wie sieht das End­bild aus?” Ich erläu­ter­te das “ite­ra­ti­ve Vor­ge­hen. Schritt für Schritt”. Es gebe kei­nen geplan­ten Change-Prozess mit Mei­len­stei­nen. Jedes Team, jeder der anwe­sen­den Pilot­krei­se kön­ne in sei­ner eige­nen Geschwin­dig­keit in mehr Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on gehen. Es gehe um eine nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung von Stu­fe zu Stu­fe. Dann fiel mir eines mei­ner Lieb­lings­zi­ta­te ein: “Still con­fu­sed, but on a hig­her level.”

Das Zitat wird sowohl dem ame­ri­ka­ni­schen Psy­cho­the­ra­peu­ten Ste­ve de Shazer als auch ande­ren Urhe­bern zuge­ord­net. Wie auch immer: Es wirk­te bei vie­len Men­schen im Raum ent­las­tend und sorg­te für Hei­ter­keit. Man­che fühl­ten Kon­fu­si­on. Und einer mach­te die oben gezeig­te Skiz­ze. Dan­ke dafür! 

Sicherheit als Grundbedürfnis

Der Wunsch nach Sicher­heit, nach Plan­bar­keit und Vor­her­seh­bar­keit ent­springt einem mensch­li­chen Grund­be­dürf­nis. Das Bedürf­nis nach Sicher­heit ist je nach Per­sön­lich­keit bei Men­schen mehr oder weni­ger aus­ge­prägt. Das Stre­ben nach Dau­er und Sicher­heit ist im Riemann/Thomann-Modell eine von vier “Him­mel­rich­tun­gen der See­le”. Die Ori­en­tie­rung an Sicher­heit, Sta­bi­li­tät und Bestän­dig­keit gehö­ren auch zu den “Big 5” der gut erforsch­ten Persönlichkeitsmerkmale. 

Wie lässt sich die­ses Grund­be­dürf­nis in der agi­len Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­tung aner­ken­nen und integrieren? 

Auf der Pro­zess­ebe­ne in der Arbeit mit unse­ren Kun­den kön­nen wir Sicher­heit ver­mit­teln durch Trans­pa­renz, kla­re hand­lungs­lei­ten­de Prin­zi­pi­en und kla­re Struk­tu­ren und Pro­zes­se. Wir über­tra­gen Sicher­heit auch durch Kom­pe­tenz­auf­bau bei unse­ren Kun­den. Zum Bei­spiel durch die Aus­bil­dung von inter­nen Moderator*innen oder Lernbegleiter*innen – um um selbst ver­zicht­bar zu werden.

Freude aus Verunsicherung ziehen

Auf per­sön­li­cher Ebe­ne kön­nen wir als Begleiter*innen auch Sicher­heit geben: durch Sou­ve­rä­ni­tät, Wert­schät­zung und Ener­gie. Wir geben Sicher­heit durch eige­ne Kom­pe­ten­zen und Vertrauenswürdigkeit. 

Doch letzt­lich bleibt die Gegen­über­stel­lung von Sicher­heit ver­sus Eigen­ver­ant­wor­tung oder Sicher­heit ver­sus Agi­li­tät immer sowohl eine Fra­ge des Men­schen­bil­des als auch eine Fra­ge des jewei­li­gen Umfeldes. 

Neben dem Satz “Still con­fu­sed, but on an hig­her level” habe ich übri­gens noch ein ande­res Lieb­lings­zi­tat zum per­sön­li­chen Umgang mit Unsi­cher­heit: “Freu­de aus Ver­un­si­che­rung zie­hen, wer hat uns das denn bei­gebracht.” Das stammt von der ost­deut­schen Autorin Chris­ta Wolf (“Kas­san­dra”) und hing in Pha­sen eige­ner Ver­än­de­run­gen lan­ge über mei­nem Schreibtisch. 

Zum Pro­fil von Karin Vol­bracht.

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