Im letzten Teil dieser Blogserie geht es um das Thema organisationale Selbstorganisation übernehmen. Galten bisher die initialen Prozesse, Strukturen und Prinzipien als vorgegeben und nur über das Übergangsteam änderbar, übernimmt nun die Organisation auch hierfür Verantwortung und beginnt, ihre eigenen Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln.
Übergangs-Konsent
An dieser Stelle im Prozess empfehle ich wieder einen Konsent als Basis für einen gemeinsamen und rituellen Übergang. Das vom Übergangsteam entwickelte und vorgegebene Modell wurde nun erprobt. Alle wissen jetzt, wie es sich anfühlt und was es bedeutet, so miteinander zu arbeiten, so dass sich jeder einzelne eine Meinung dazu bilden kann. Sofern dieses Modell gar nicht überzeugt hat, sofern also einige oder viele Vorbehalte und Einwände gegen diese neue Organisationsform haben, wäre nun die letzte Möglichkeit, diese zu stoppen.
Zum Vergleich: Die Holokratie-Einführung bei Zappos 2015/2016 folgte einem anderen Modell. Dort wurde Holokratie verpflichtend vorgegeben und wer nicht folgen wollte, konnte (mit Abfindung) gehen. Viele Kolleginnen nutzten diese Möglichkeit.
Falls einzelne Mitarbeiter in dem neuen Modell keinen passenden Platz gefunden haben, würde dies bei einem Konsent auch gemeinsam erkannt und geklärt werden können. Auch die Inhaber müssen von der Zukunftsfähigkeit des neuen Modells überzeugt sein. Insofern dient der Konsent dazu, auszuloten und auszuhandeln, welche Rahmenbedingungen (roter Bereich in der Abbildung) und Modellelemente (blauer Bereich) noch zu entwickeln und zu verändern sind, um offene individuelle Einwände und Bedürfnisse zu integrieren oder inwieweit die Organisation ihr gemeinschaftliches Interesse ganz bewusst über diese individuellen Interessen stellen möchte.
Die priorisierte Feature-Liste kann hilfreich sein, um spezifische Interessen zu integrieren. Der Konsent verdeutlich verbliebene Spannungen und klärt sie in der einen oder anderen Weise. Sollten diesbezügliche Spannungen bis zum Wechsel in die vierte Phase noch nicht geklärt worden sein, werden sie die Organisation weiterhin belasten und stören. Möglicherweise zeigt der Versuch zu einem Konsent also auch, dass die Organisation für den Übergang noch nicht reif ist und noch Zeit, Entwicklungen und Klärungen braucht.
Würdiger Abschluss des Vergangenen
Mit dem akzeptierten Übergang in die nächste Phase wird das Übergangsteam aufgelöst und möglicherweise durch einen vergleichbaren übergeordneten Führungskreis (Topkreis) ersetzt. Das Übergangsteam sollte hierfür angemessen verabschiedet werden. Die Mitglieder des Teams hatten eine anspruchsvolle Aufgabe zu bewältigen. Sie mussten einen Rahmen mit neuen und wenig vertrauten konkreten Prozessen, Strukturen und Prinzipien füllen und dabei gleichzeitig die Interessen, Bedürfnisse und Möglichkeiten aller Beteiligten angemessen berücksichtigen. Ein kleines Dankeschön ist für diese Arbeit angebracht.
Möglicherweise ist es auch sinnvoll, die früheren Führungskräfte, die nicht Inhaber waren, noch einmal zu würdigen und ihnen zu danken. Deren Rollen sind vermutlich entfallen oder haben sich radikal geändert. Die systemischen Veränderungen sind für diese Personen wahrscheinlich am deutlichsten spürbar.
Auch die Inhaber sollten dabei nicht vergessen werden, vor allem dann nicht, wenn sie Inhaber-Geschäftsführer sind oder waren. Ohne ihre Unterstützung wäre eine Transformation hin zu einem kollegial-geführten Unternehmen gar nicht möglich gewesen. Die ehemaligen Führungskräfte und Geschäftsführer haben Macht, Status und klassische Karriereperspektiven abgegeben und aufgegeben, ohne die Sicherheit zu wissen, ob, wo und wie genau ihr neuer Platz und ihre neue Rolle in der Organisation sein wird. (Zum Thema Systemprinzipien, Ausgleichsprinzipien und notwendigen Ausgleichshandlungen beim Übergang plane ich einen weiteren Blogbeitrag zusammen mit Claudia Schröder.)
Sofern im Prozess Konflikte aufgetreten sind und nicht alle Bedürfnisse und Interessen befriedigend und angemessen berücksichtigt oder kompensiert werden konnten, ist der Übergang die vierte Phase vermutlich die passendste Möglichkeit, in einem gemeinsamen Ritual Verzeihung und Versöhnung zu üben.
Wie geht es weiter?
Die Organisation beginnt in der gelben Phase nun auch die Verantwortung und Gestaltung ihr Führungs- und Organisationsmodells zu übernehmen. Das Organisationsmodell wird nun nicht mehr vom Übergangsteam, sondern von der Kollegenschaft insgesamt verantwortet und agil weiterentwickelt.
Sowohl innerhalb der einzelnen Kreise und Rollen als auch im Plenum, Topkreis oder anderen übergeordneten Strukturen und Prozessen werden auch alle operationalen Aspekte der Selbstorganisation übernommen. Die Selbstorganisation wird selbstbestimmt effizienter und effektiver und in vielen kleinen Schritten evolutionär und empirisch weiterentwickelt.
Der Rahmen wird durchlässiger und flexibler. Erlaubt ist, was zu den gemeinsamen Werten und Prinzipien passt. Statt ermächtigt zu werden oder andere zu ermächtigen, ermächtigt sich jeder selbst in Kooperation und durch Konsultation mit den anderen. Das heißt, die Aktion geht von den Einzelnen aus. Das Handeln nach dem Prinzip, lieber hinterher Verzeihung üben, als jedesmal vorher alle einzubeziehen, ist nicht automatisch vorhanden, ist für alle Beteiligten anfangs ungewohnt und muss vermutlich erst eingeübt werden.
Kreise können sich unabhängig vom Rest und völlig eigenverantwortlich anders aufteilen, fusionieren, andere Rollen einrichten, sich für andere Entscheidungsverfahren entscheiden usw. Selbst ihren Zweck und Zuständigkeitsbereich können sie in sich selbst ermächtigender Weise gestalten, soweit die übrige Organisation sie gewähren lässt. Möchte ein Kreis also seine Zuständigkeit oder seinen Zweck ändern, muss es nicht die anderen um Zustimmung fragen, sondern den übergeordneten Instanzen lediglich eine Einwandintegration und Vetomöglichkeit gewähren oder ihnen sogar nur Transparenz und Feedback ermöglichen.
Die einzigen weiterhin zu respektierenden (aber verhandelbaren) Rahmenbedingungen sind die der Inhaber (rot). Der Übergang in die gelbe und türkise Phase ist vermutlich der anspruchsvollste Schritt. Was gelb und türkis bedeuten, habe ich Blogbeitrag über die Evolution menschlicher Organisationsformen beschrieben.
Auch mit den für den grünen Bereich typischen Eigenschaften ist ein kollegial geführtes Unternehmen gut vorstellbar und funktionsfähig. Das dominierende Bedürfnis, sich in allem Handeln stets von der Gemeinschaft und seinen Kreisen ermächtigen zu lassen, bremst jedoch. Um diese Bremse zu überwinden braucht die Organisation belastbare gemeinsame Werte und Prinzipien, damit die Selbstermächtigungen in Bezug auf die gemeinsame Verantwortung und das Gemeinwohl beurteilbar werden und Vertrauen aufbauen können.
Das Lernfeld der Organisation liegt darin, sich in Abhängigkeit von der Komplexität eines zu lösenden Problems der passenden Handlungsprinzipien zu bedienen und den passenden Führungsfokus zu wählen (siehe nächste Abbildung).
Die kreisübergreifende Weiterentwicklung der Gesamtorganisation, deren Phasenübergänge mit Hilfe einer Feature-Liste für alle sichtbar organisiert werden kann, kann mit Hilfe eines übergreifenden Ideen- und Entscheidungsmonitors vom Topkreis oder Plenum weiter geführt werden.
Damit beende ich die Serie über die Einführung kollegialer Führungsprinzipien in bestehenden Organisationen. Dabei möchte ich nochmal darauf hinweisen, dass es nicht die eine oder richtige Vorgehensweise gibt, allerdings schon ein paar typische Phänomene und Prinzipien. Wer mehr hierzu lesen möchte: Ende Oktober 2016 erscheint unser Buch “Das kollegial geführte Unternehmen” aus dem Texte und Abbildungen zu dieser Blogserie stammen.
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