In vierten Teil dieser Blog­se­rie geht es um die Phase der operativen Selbstorgansiation. Der Blogserie insgesamt liegt ein Modell zu Grunde, wie der Übergang von einer Linienorgansiation zu kollegialen selbstorganisierten Führungsprinzipien verlaufen kann. Im letzten Teil ging es darum, wie ein Über­gangs­team ein initiales Orga­ni­sa­ti­ons­mo­dell konzipiert und zum Konsent stellt. In diesem Teil geht es um die Zeit, in der die Kollegenschaft erstmals beginnt, die neuen Prozesse, Strukturen und Prinzipien tatsächlich operativ zu erproben und einzuüben. Dafür muss jetzt ausreichend Zeit sein.

Übergangsritual

Der Übergang von der zweiten (blauen) zur dritten (orangenen) Phase kann als Ritual mit Hilfe eines soziokratischen Konsentes begangen werden. Selbst, wenn kein Konsent veranstaltet wird, wäre zumindest ein Ritual, eine Feier dieses Ereignisses ein ganz wichtiger Schritt, da sich jetzt die Zusammenarbeit tatsächlich ändert. Dieses Ritual ist ein wichtiger Beitrag, um einen Kontextwechsel deutlich spürbar werden zu lassen.

Anders als bei der Holokratie propagiert, bin ich nicht der Meinung, dass eine kollegiale Führung vollständig mit einem Schlag eingeführt werden sollte. Eine schrittweise Einführung, beispielsweise beginnend in bestimmten Organisationseinheiten oder für bestimmte Prozessbereiche ist meistens einfacher zu bewältigen, da nicht alles auf einmal neu und anders ist. Außerdem ist der Seitenwechsel der Verantwortlichkeit wirklich ernst zu nehmen. Der Kollegenschaft wird keine Veränderung aufgedrückt oder übergestülpt, sondern entscheidet und verantwortet selbst, wann sie mit welche neuen Prinzipien beginnt. Die in der Abbildung dargestellten „Features“ aus dem Übergangsmonitor werden gezogen – hier vollzieht sich der Wechsel von Push nach Pull.

Die Intention hinter dem abrupten Übergang bei der Holokratie halte ich dennoch für relevant und sie betrifft meines Erachtens die Klarheit des Kontextwechsel. Jeder Kollege muss zu jedem Zeitpunkt sicher unterscheiden können, welche Regeln hier jetzt gelten: bin ich hier in der Welt Linienorgansiation oder der kollegiale Führung. Dabei helfen rituelle Übergänge, beispielsweise in Verbindung damit, bisherige Rollenträger, eingefahrene Praktiken und überkommene Gepflogenheiten würdevoll zu verabschieden.

Das neue Modell wurde nicht von allen aktiv mitgestaltet, sondern (siehe Teil 3 dieser Serie) von einem Übergangsteam konzipiert. Ob dieses Modell mit einem Konsent zu bestätigen ist, hängt von der Beauftragung des Übergangsteams ab. Hatte es nur den Auftrag, das neue initiale Führungs- und Organisationssystem zu entwickeln und dem Planum zur Entscheidung vorzulegen? Oder handelte es sich um einen konsultativen Fallentscheid, dass also mit der Beauftragung des Übergangsteams bereits die Akzeptanz verbunden war?

Sofern mit der neuen Organisationsform auch formale Änderungen verbunden sind, beispielsweise Satzungsänderungen, Geschäftsordnungen, Geschäftsführungsverträge, Prokuren und andere Handlungsvollmachten, Übertragung von Geschäftsanteilen, Mitarbeiterbeteiligungen etc. dann ist auch für diese jetzt möglicherweise der passende Umsetzungszeitpunkt gekommen.

 Transitionsphasen

Ziel der Phase

Die Sicherheit dieser initialen Vorgaben ist die Basis, um die Führung in Selbstorganisation zu übernehmen. Um jedoch wirklich selbstorganisiert zu arbeiten, müssen sich alle Beteiligten erstmal gemeinsam mit dem Neuen vertraut machen. Diese Phase in der Abbildung orange und grün dargestellt. Das Ziel der orangenen Phase ist zu beweisen, dass mit dem neuen System weiterhin die bisherigen Leistungen erbracht werden können. Die Organisation muss ihre bisherige Leistungsfähigkeit im neuen Rahmen wiederherstellen und beweisen.

Die Beteiligten finden sich in neuen Gruppen und Teams wieder, die Zuständigkeiten und Rollen sind neu verteilt, was entsprechende gruppendynamische Prozesse auslöst. Die sozialen Beziehungen sind in den neuen Konstellationen neu auszuhandeln, zu erproben und einzuüben. Dies ist der grüne Abschnitt in der Abbildung. Der Übergang zwischen orange und gelb ist fließend.

Die Weiterentwicklung der Selbstorganisation selbst (die organisationale Ebene) steht jetzt noch nicht im Vordergrund, es geht zunächst um die operative Ebene. Natürlich beginnt die Organisation bereits zu lernen wie das neue System funktioniert und es entstehen Impulse, das System zu ändern. Die Hoheit darüber verbleibt aber zunächst beim Übergangsteam, dass eben diese initialen Prozesse, Strukturen und Prinzipien (blau in der Abbildung) konzipiert hat.

Die Aufgabe des Übergangsteams ist die konsentreife Entwicklung eines initialen Organisationsmodells. Als Modell dient dies der Orientierung, damit sich jeder ein Gesamtbild machen kann und die grundlegenden Zusammenhänge überblickt.

Kleinste brauchbare Organisationselemente identifizieren

Die tatsächliche Umsetzung des Modells wird zum einen Überraschungen beinhalten und regelmäßig vom Modell abweichen. Zum anderen ist die Umsetzung ein schrittweiser Prozess. Nicht alle Elemente der neuen Organisationen können und sollten auf einen Schlag fertig sein. Wir orientieren uns an einem zirkulären Modell (vgl. Zirkuläre Organisationsentwicklung – weil sich Organsiationen gar nicht gezielt und vorhersehbar ändern lassen).

Außerdem geht es um Selbstorganisation, d.h. die einzelnen Kreise und Kollegen sind selbst für die Umsetzung verantwortlich. Mit dem Konsent für den Phasenübergang in die operative Selbstorganisation klären wir grundsätzliche Akzeptanz des Überganges. Manche Elemente benötigen auch bestimmte Gelegenheiten oder sind erst nach einer gewissen Zeit überhaupt möglich.

Aufgabe des Übergangsteams ist es, die einzelnen zu erprobenden Modellelemente (Features genannt) zu identifizieren und zu priorisieren. Der Übergang wird in kleine separat zu bewältigende Portionen zerlegt. Dies ist nicht ein beliebiges kleines Aufgabenpaket, sondern jeweils ein Schritt, der eigenständig und unabhängig von den noch offenen Features bereits einen nachprüfbaren Nutzen erzeugt. In Anlehnung an entsprechende Praktiken agiler Softwareentwicklungsmethoden und Lean-Startup-Prinzipien wird auch von MVP (Minimal Viable Products) gesprochen.

Feature-Liste

Die Elemente können in einer Übergangsmonitor genannten Liste gesammelt und priorisiert werden. Manchmal werden solche Listen auch Backlog (Rückstandsliste) genannt. Wir vermeiden diesen Begriff, weil er Defizite statt Möglichkeiten konnotiert. Beispiele für separat einführbare Organisationselemente:

  • Dienst- und Urlaubsplanung im monatlichen im Entscheidungs-Jourfix des Kreises aktualisieren.
  • Ausprobieren kollegiale Neueinstellungen (Anwendungsfall Bewerbung)
  • Ausprobieren der Kreisrollen Gastgeber, Ökonom und Lernbegleiter in allen konstituierten Kreisen.
  • Ausprobieren von Kudos (Dankeschön-Karten)

Je nach Mut und Sicherheitsbedürfnissen beginnen entweder alle Kreise und Kollegen gemeinsam die Einführung neuer Praktiken, nur bestimmte Pilot-Teams oder -Bereiche oder es sind sowie nur bestimmte Kreise oder Rollen betroffen.

Das Übergangsteam kann die Feature-Liste zentral pflegen und transparent machen, in welchem Zustand sich der Übergang gerade befindet, welche Elemente bereits erprobt werden oder mit welchem Ergebnis bereits eingeführt wurden.

Die transparente und regelmäßige Pflege einer Übergangs-Feature-Liste steigert die Flexibilität und Kreativität im Übergang. Die Vorgehensweise verdeutlicht, dass es nicht um die plangemäße Abarbeitung eines Veränderungsvorhabens geht, sondern um die gemeinsame fortlaufende Koordination verschiedener Organisationsexperimente.

Das Übergangsteam verantwortet das initiale Organisationsmodell

Nichtsdestotrotz empfehle ich für den Übergang ein machtvolles Übergangsteam. Der Zweck ist nicht, dass jedes Team und jeder Kollege irgendwelchen Organisationsexperimenten nachgeht, dass unreflektiert beliebige Features in die Liste aufgenommen werden oder weniger erfolgreiche Experimente unmittelbar zu Veränderungen am Organisationsmodell führen.

Während der dritten Phase der operativen Selbstorganisation  erhält die Organisation eine weitgehende Freiheit darin, ihre operative Arbeit selbst zu gestalten (bspw. Dienstplanung). Für die organisationale Ebene bleibt vorerst das Übergangsteam verantwortlich. Wurde ein organisationales Konzept wenig überzeugend ausprobiert, obliegt es dem Übergangsteam diese Entwicklung zu reflektieren und zu entscheiden ob oder mit welchen Variationen das Konzept weiterhin verfolgt werden soll.

Es folgt ein weiterer Teil zu dieser Serie. Diese Blog­se­rie ist übri­gens ein Aus­zug aus unse­rem Ende Oktober 2016 erschei­nen­den Buches “Das kol­le­gial geführte Unter­neh­men”.