Agiler arbeiten? Nicht ohne Psychologische Sicherheit (3)

Agiles Arbeiten besteht zu einem guten Teil aus klaren “Frameworks” mit Methoden und Prozessen. Doch damit Agilität ökonomisch erfolgreich und persönlich erfüllend ist, braucht es eine ganz andere Zutat: Psychologische Sicherheit. 

In die­sem drit­ten Teil mei­ner Blog-Serie über Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit (Psy­cho­lo­gi­cal Safe­ty) kannst Du lesen, war­um Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ganz beson­ders bei agi­len oder selbst­or­ga­ni­sier­ten Teams und Orga­ni­sa­tio­nen die Wei­chen für Gelin­gen oder Schei­tern stellt. Am Ende zei­ge ich, wie klei­ne Akte der Respekt­lo­sig­keit oder Domi­nanz agi­le Teams emp­find­lich stö­ren können.

Im ers­ten Teil der Blog­se­rie habe ich beschrie­ben, war­um  Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit als Top-Faktor für den Erfolg eines Teams gilt. Da fin­dest Du auch einen Test dazu. Im zwei­ten Teil geht es um die Kom­mu­ni­ka­tio­nen, die die­se Eigen­schaft för­dern oder sie behin­dern – inklu­si­ve vie­ler Bei­spie­le und einer Übung dazu.

Erst Psychologische Sicherheit bringt agile Teams zum Fliegen

Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit defi­niert die US-Forscherin Amy C. Edmond­son als „der Glau­be, dass nie­mand bestraft oder gede­mü­tigt wird, wenn er Ideen, Fra­gen und Beden­ken äußert oder auf Feh­ler hinweist.“

Das ist eine direk­te Ver­bin­dung zu agi­ler Zusam­men­ar­beit: Agi­li­tät setzt aus­drück­lich auf mehr Initia­ti­ve, Eigen­ver­ant­wor­tung und die Entwicklungs- und Lern­fä­hig­keit eines Teams. Das gelingt nur in einem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­kli­ma oder einer Kul­tur, in der Team­mit­glie­der Wert­schät­zung und Ver­trau­en erfah­ren, frei spre­chen und Risi­ken ein­ge­hen kön­nen, ohne Angst vor nega­ti­vem Urteil, Abwer­tung oder Stra­fe zu haben.

Wenn das fehlt, wird agi­les Arbei­ten leb­los, anstren­gend und bleibt im metho­di­schen Klein-Klein ste­cken. Es gibt ein Wort dafür: Zom­bie Scrum.

Ich habe in den letz­ten Jah­ren vie­le Unter­neh­men und Teams beglei­tet, die agi­ler wer­den wol­len oder auf mehr Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on oder kol­le­gia­le Füh­rung setzen.

Für mich in mei­ner Rol­le als Agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­te­rin war die Begeg­nung mit dem Kon­zept der Psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit bzw. der „angst­frei­en Orga­ni­sa­ti­on“ ein Mei­len­stein. Denn: Eine sta­bi­le Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ist für mich der Fak­tor, der das agi­le oder kol­le­gi­al geführ­te Team zum Flie­gen bringt. Wenn das fehlt, wird agi­les Arbei­ten leb­los, anstren­gend und bleibt im metho­di­schen Klein-Klein ste­cken. Es gibt ein har­tes Wort dafür: „Zom­bie Scrum“.

Psychologische Sicherheit ist ein agiles Kulturthema

Der US-Autor Timo­thy Clark hat das Kon­zept der Psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit für agi­le Frame­works wei­ter­ge­dacht. Er bezieht sich direkt auf einen Kern­satz im Agi­len Mani­fest von 2001: „Indi­vi­du­als and inter­ac­tions over pro­ces­ses and tools.“ (Indi­vi­du­en und Inter­ak­tio­nen ste­hen über Pro­zes­sen und Werk­zeu­gen.) Für Clark liegt der Grund für das Schei­tern von Ver­än­de­run­gen hin zu mehr Agi­li­tät vor allem in der Ver­nach­läs­si­gung die­ses Grundsatzes.

Er schreibt „… der zen­tra­le tra­gen­de Mecha­nis­mus des agi­len Vor­ge­hens ist nicht Scrum oder Sprint. Viel­mehr ist es der dia­lo­gi­sche Pro­zess des Teams – die Art und Wei­se, wie Team­mit­glie­der inter­agie­ren – der letzt­end­lich über den Erfolg ent­schei­det. (…) Im Wesent­li­chen basiert der Kern agi­ler Zusam­men­ar­beit nicht auf Tech­ni­ken und Pro­zes­se. Es ist ein Kulturthema.“

Clark hebt her­vor: „Agi­le Teams ver­las­sen sich auf psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit, um einen kol­la­bo­ra­ti­ven Dia­log­pro­zess zu führen.“

Hohe Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit löst laut Clark eine Leis­tungs­re­ak­ti­on mit den Zie­len Erfolg, Inno­va­ti­on und Ler­nen aus. Nied­ri­ge psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ruft eher Reak­tio­nen von Apa­thie, Druck und Angst her­vor, weil es dann in der Kon­se­quenz vor allem um das Über­le­ben bzw. die Siche­rung von Sta­tus, Anse­hen oder der beruf­li­chen Exis­tenz geht.

Wenn der Dialogprozess gestört ist, geht das direkt auf Leistung und Wohlbefinden

Agi­le Teams leben durch die Bereit­schaft, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, mit­ein­an­der an Lösun­gen zu arbei­ten und gemein­sam oder rol­len­ba­siert Ent­schei­dun­gen zu tref­fen. Wenn hier der Dia­log­pro­zess gestört ist, geht das direkt auf Kos­ten der Leis­tung und der Lern- und Ent­wick­lungs­fä­hig­keit – und auf das indi­vi­du­el­le Wohl­be­fin­den ein­zel­ner Men­schen in dem Team. Doch um genau das zu errei­chen, arbei­tet das Team ja agiler.

Man­che Teams ten­die­ren nach mei­ner Beob­ach­tung in Kri­sen oder unter Druck dazu, sich stär­ker auf Metho­den und Pro­zes­se, Struk­tu­ren, Regeln und Rah­men­be­din­gun­gen zu kon­zen­trie­ren. Der Fokus liegt dann noch weni­ger auf einer “siche­ren” All­tags­kom­mu­ni­ka­ti­on. Der „kol­la­bo­ra­ti­ve Dia­log­pro­zess“ ist gestört. Dadurch gerät das Team rich­tig unter Stress. Vie­le sind jetzt von Sor­gen und Ängs­ten geplagt, etwas Fal­sches zu machen oder zu sagen. Ein Teu­fels­kreis hat begon­nen, der das gan­ze schö­ne agi­le Vor­ha­ben zum Schei­tern brin­gen kann.

Von der Angst-Zone in die (agile) Lern-Zone für Bestleistung

Den Zusam­men­hang zwi­schen psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heit, Eigen­ver­ant­wor­tung und Best­leis­tung zeigt auch Amy C. Edmond­son in ihrem Buch „Die angst­freie Orga­ni­sa­ti­on“.  Die hier­aus adap­tier­te Gra­fik zeigt bei­des als gleich wich­ti­ge Dimen­sio­nen, die sich wech­sel­sei­tig auf Teams und Orga­ni­sa­tio­nen in einer kom­ple­xen Umge­bung auswirken.

Die Gra­fik macht deut­lich: Best­leis­tung ent­steht in der Lern-Zone mit hoher Eigen­ver­ant­wor­tung und hoher psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heit. Das ist der Bereich, in dem agi­le oder eher selbst­or­ga­ni­sier­te Zusam­men­ar­beit ihren Sinn ent­fal­tet und sowohl ein­zel­ne Men­schen als auch die Ergeb­nis­se der Grup­pe beflügelt.

In der Komfort-Zone (oben links) ist der Eigen­ver­ant­wor­tung nied­rig und das Kli­ma gut. Es geht offen und kol­le­gi­al zu, aber die Men­schen erle­ben weni­ge Her­aus­for­de­run­gen und Entwicklungsmöglichkeiten.

Wenn sowohl die psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit als auch die gefühl­te Eigen­ver­ant­wor­tung nied­rig sind, dann wird der Arbeits­platz zu einem Ort der Apa­thie. Rich­tig pro­ble­ma­tisch wird es in der Angst-Zone. Hier gel­ten hohe Ansprü­che an Ver­ant­wor­tung und Leis­tung bei gleich­zei­tig nied­ri­ger psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heit. Hier wer­den Feh­ler ver­tuscht, fal­sche Ent­schei­dun­gen abge­nickt. Hier wird gelit­ten, es wird auch gelo­gen und betrogen.

Ganz normales Führungsverhalten: Zwei kurze „agile“ Alltagsgeschichten

Ich möch­te zwei kur­ze Geschich­ten erzäh­len aus Unter­neh­men, die jeweils auf eige­ne Wei­se agil oder selbst­or­ga­ni­siert auf­ge­stellt sind und in denen es aus unter­schied­li­chen Grün­den rumpelt.

Sto­ry 1:

Sören ist Inha­ber einer schnell wach­sen­den IT-Beratung. Er beschreibt sich selbst als „bauch­ge­trie­be­ne und durch­set­zungs­fä­hi­ge Füh­rungs­per­sön­lich­keit“. Er steu­ert sein Unter­neh­men „auf Kurs“, arbei­tet an den Rah­men­be­din­gun­gen – und lässt kei­nen Feh­ler unkom­men­tiert. Manch­mal ist er unge­dul­dig mit Rollen-Inhaber:innen in den agi­len Pro­jek­ten und sagt dann Sät­ze wie: „Das haben wir doch längst geklärt. Und Du warst auch dabei, oder nicht?“ In Mee­tings pas­siert es schon mal, dass er Beden­ken oder Ein­wän­de unge­dul­dig bei Sei­te schiebt. Sören sagt, er ver­mis­se ech­te Eigen­in­itia­ti­ve und Krea­ti­vi­tät bei sei­nen Leu­ten und beklagt, dass die­se immer noch so einen star­ken „Hierarchie-Fokus“ hätten.

Sto­ry 2

Hei­kes Traum ist es, sich irgend­wann als Ent­schei­de­rin „über­flüs­sig“ zu machen und in ihrem Urlaub ohne Mobil­te­le­fon und Lap­top Segeln zu gehen. Sie ist Abtei­lungs­lei­te­rin in einem Kon­zern und mischt sich wenig in die agil orga­ni­sier­ten Teams ein. Hei­ke sieht sich am liebs­ten als „Ermög­li­che­rin“. Doch in der Abtei­lung ist die Stim­mung schlecht. In den Scrum-Meetings und den Retro­spek­ti­ven geht es vor allem um Über­las­tung. Span­nun­gen wer­den nicht offen ange­spro­chen. Der Stress­pe­gel ist hoch. Manch­mal wird es laut im Büro. Oft kom­men Beschäf­tig­te zu ihr und beschwe­ren sich über ande­re. Hei­ke sagt dann: “Wir sind doch nicht im Kin­der­gar­ten. Klärt das bit­te unter euch.” Zwei ihrer Leu­te haben gekündigt.

Kleine Akte der Selbstüberlassung, Respektlosigkeit oder Dominanz

Die­se Sto­ries zei­gen unter­schied­li­che Kom­mu­ni­ka­tio­nen und Kul­tu­ren, in denen Koope­ra­ti­on jeweils ambi­tio­niert mit agi­len Metho­den und Werk­zeu­gen gestal­tet wer­den. Und bei­de Bei­spie­le wei­sen auf einen Man­gel an Psy­cho­lo­gi­scher Sicher­heit hin.

Timo­thy Clark beschreibt es in sei­nem Text über Agi­li­tät und Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit so: „Klei­ne und schein­bar unbe­deu­ten­de Akte der Respekt­lo­sig­keit, Unhöf­lich­keit oder Gleich­gül­tig­keit kön­nen ein Team zurück in den Rück­zug und das per­sön­li­che Risi­ko­ma­nage­ment treiben.“

In Sto­ry 1 erzeugt die unkla­re Hal­tung von Sören ein Kli­ma der Unsi­cher­heit. Einer­seits unter­stützt er die agi­le Zusam­men­ar­beit und erwar­tet Ver­ant­wor­tung und Initia­ti­ve. Ande­rer­seits zeigt er ein hierarchisch-dominantes Füh­rungs­ver­hal­ten, das in man­chen Momen­ten ech­te Wert­schät­zung, Respekt und eine posi­ti­ve Feh­ler­kul­tur ver­mis­sen lässt.

In Sto­ry 2 ver­mis­sen die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von Hei­ke ein akti­ves Ein­grei­fen – sowohl gegen die Über­las­tung als auch bei den schwe­len­den Kon­flik­ten. Sie haben das Gefühl, sich selbst über­las­sen zu sein. Es fehlt im agi­len Pro­zess an Zeit und Gele­gen­heit, Span­nun­gen frei anzu­spre­chen und zu klären.

Bei­de Bei­spie­le sind über­haupt nicht extrem. Doch wenn ich als agi­le Orga­ni­sa­ti­ons­be­glei­te­rin sol­che Situa­tio­nen beob­ach­te, ist das immer Anlass zu erkun­den, wie es denn grund­sätz­lich mit der Psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit in der Orga­ni­sa­ti­on aussieht.

Wel­che Bei­spie­le für „klei­ne Akte der Respekt­lo­sig­keit oder Gleich­gül­tig­keit” kennst Du selbst?
Schreib mir gern für mei­ne Samm­lung an karin.volbracht@next‑u.de.

Im vier­ten Teil der Serie erfährst Du dem­nächst, was agi­le Teams selbst für ihre Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit tun können.

Willst Du das Thema vertiefen?

Wenn Dich das The­ma tie­fer beschäf­tigt: Nimm ein­fach ganz unver­bind­lich Kon­takt auf.

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