Kommunikation und Psychologische Sicherheit: Was schadet und was hilft? (2)

Es gibt Sätze von Vorgesetzten oder Kolleg:innen, die klingen uns lange im Ohr. Manche dieser Sätze wirken “toxisch” und machen uns fertig. Andere wirken “nährend” und setzen Energie frei. Kommunikation hat Wirkung – nicht nur auf unser individuelles Befinden, sondern auch auf die Psychologische Sicherheit und damit die Leistungsfähigkeit eines Teams.

Im ers­ten Teil der Blog­se­rie über Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit habe ich beschrie­ben, war­um  Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit in vie­len Stu­di­en der letz­ten Jah­re als Top-Faktor für den Erfolg eines Teams iden­ti­fi­ziert wor­den ist. Da fin­dest Du auch einen Test dazu.

Im zwei­ten Teil wird es nun kon­kre­ter: Es geht dar­um, wel­che Kom­mu­ni­ka­tio­nen “toxisch” wir­ken kön­nen und der Psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit in einem Team scha­den – und Kom­mu­ni­ka­tio­nen wel­che die­se ein angst­freie, siche­re Kul­tur för­dern. Hier­zu gibt es vie­le ech­te Bei­spie­le. Eini­ge davon kannst Du zu Übungs­zwe­cken selbst ana­ly­sie­ren und umformulieren.

Führende geben den Ton an. Doch alle anderen tragen auch Verantwortung für einen sicheren Grundklang

Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit zeigt sich in dem Ver­trau­en von allen Men­schen einer Grup­pe oder eines Teams, dass sie frei spre­chen kön­nen, Ideen und Beden­ken äußern und Feh­ler machen kön­nen, ohne Angst vor irgend­wel­chen nega­ti­ven Kon­se­quen­zen zu haben. (Amy C. Edmond­son, „Die angst­freie Organisation“)

Füh­rungs­kräf­te, die eine psy­cho­lo­gisch siche­re Arbeits­um­ge­bung schaf­fen, för­dern damit ein offe­nes, krea­ti­ves und inno­va­ti­ves Arbeits­kli­ma, in dem Best­leis­tung mög­lich wird. Sie geben den Ton an. Sie stel­len die Wei­chen für einen posi­ti­ven Umgang mit­ein­an­der. Doch alle ande­ren Men­schen in Orga­ni­sa­tio­nen tra­gen eben­falls Ver­ant­wor­tung für einen siche­ren Grund­sound.

In „The Psy­cho­lo­gi­cal Safe­ty Play­book“ schrei­ben Karo­lin Hel­big und Minet­te Nor­man: Die­se Art von Füh­rung oder Lea­ders­hip ist „unab­hän­gig von for­ma­len hier­ar­chi­schen Rol­len“. Du kannst also auf jeder Posi­ti­on in Dei­ner Orga­ni­sa­ti­on Lea­ders­hip über­neh­men, wenn Du so kom­mu­ni­zierst, dass Dei­ne Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen „angst­frei“ mit Dir zusammenarbeiten.

Das bedeu­tet: Auch wenn Du nicht offi­zi­ell „in Füh­rung“ bist, kannst Du mit dei­nem Ver­hal­ten und dei­nen Wor­ten die Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit in Dei­nem Team beeinflussen. 

Was fördert Psychologische Sicherheit?

Bevor ich auf ganz kon­kre­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­si­tua­tio­nen ein­ge­he, gibt es jetzt einen kom­pak­ten Über­blick, was alles dazu bei­tra­gen kann, dass Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ent­steht. Nach mei­ner Erfah­rung erfül­len zufrie­de­ne Top-Teams oft vie­le die­ser Kri­te­ri­en. Manch­mal geschieht das eher „unbe­wusst“ aus einer wert­schät­zen­den Kul­tur her­aus. Manch­mal ist das bewusst aus einem kri­sen­haf­ten Erle­ben erar­bei­tet.

Eine The­se lei­tet mich immer, wenn ich mit Teams und Füh­ren­den zu die­sem The­ma arbei­te: Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ist Aus­ruck der Kul­tur im Team oder im gan­zen Unter­neh­men. Und Kul­tur ist durch bewuss­tes Drauf­schau­en und schritt­wei­ses Arbei­ten dar­an veränderbar. 

Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit ist Aus­druck der Kul­tur – und damit bewusst schritt­wei­se veränderbar.

Was för­dert Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit – Gra­fi Karin Volbracht

Zehn Leitsätze: Was fördert Psychologische Sicherheit?

  1. Wert­schät­zen­de Grund­hal­tung: Wir begeg­nen ande­ren über alle Hier­ar­chie­stu­fen hin­weg mit Tole­ranz und der grund­sätz­li­chen Ver­mu­tung „Ich bin okay. Du bist okay.“
  2. Nah­bar­keit (Ver­letz­lich­keit): Wir geben uns auch in unse­ren Schwä­chen und Sor­gen zu erkennen.
  3. Offen­heit für Feed­back / Lern­be­reit­schaft: Wir ver­trau­en dar­auf, ande­ren Feed­back geben zu kön­nen und selbst Feed­back zu erhal­ten, um uns zu entwickeln.
  4. Trans­pa­renz in der Kom­mu­ni­ka­ti­on: Wir haben Zugang zu wich­ti­gen Infor­ma­tio­nen und kön­nen jeder­zeit Fra­gen stellen.
  5. Gemein­sam defi­nier­te Do’s und Dont’s: Wir haben gemein­sam Regeln für den Umgang mit­ein­an­der aufgestellt.
  6. Empa­thie: Wir berück­sich­ti­gen die Inter­es­sen und Bedürf­nis­se anderer.
  7. Akti­ves Zuhö­ren und Fra­gen stel­len: Wir las­sen ande­re aus­re­den und fra­gen nach, um ande­re Sicht­wei­sen zu erfahren.
  8. Posi­ti­ve Feh­ler­kul­tur: Wir ste­hen zu eige­nen Feh­lern und wei­sen ande­re auf mög­li­che Feh­ler hin mit dem Ziel, gemein­sam bes­ser zu werden.
  9. Direk­tes Adres­sie­ren und Klä­ren von Span­nun­gen: Wir über­neh­men Ver­ant­wor­tung dafür, Stö­run­gen und Span­nun­gen anzusprechen.
  10. Regel­mä­ßi­ger Aus­tausch: Wir schät­zen Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit als unse­re gemein­sa­me Qua­li­tät und neh­men uns die Zeit, dar­an zu arbeiten.

Wenn alles stimmt, kann der Ton auch mal flapsig oder etwas rauher sein

Ich ken­ne ein mit­tel­stän­di­ges Unter­neh­men, in dem es durch­aus mal laut und robust zuge­hen kann. Bei einem Work­shop zur agi­len Zusam­men­ar­beit dort war ich ver­un­si­chert, weil ich den Grund­klang der Kom­mu­ni­ka­ti­on als domi­nant, iro­nisch und her­aus­for­dernd erlebt habe. Ich hab dann ein­fach mal gefragt, ob das „nor­mal“ sei, oder ob wir das mal bespre­chen sollten. 

Die Reak­ti­on war gro­ße Hei­ter­keit: „Wir sind hart, aber herz­lich! Das passt so für uns.“ Am Ende des Tages war ich auch über­zeugt: Die­ses Team mit sei­nem eher rau­bei­ni­gen, iro­ni­schen Chef erlebt sich in der Zusam­men­ar­beit als sicher mit­ein­an­der ver­bun­den, wert­schät­zend und angstfrei.

Kleine Akte der Respektlosigkeit und Gleichgültigkeit

Kom­plett anders mei­ne Erfah­rung in ins­ge­samt eher ver­un­si­cher­ten Orga­ni­sa­tio­nen, in denen es an Wert­schät­zung, Offen­heit und Ver­trau­en man­gelt. Hier kann das lei­ses­te kri­ti­sche Feed­back, ein iro­ni­scher Spruch von Vor­ge­set­zen oder ein emo­tio­na­ler Aus­bruch der Kol­le­gin ein inne­res Beben verursachen.

Der US-Autor Timo­thy Clark beschreibt die­sen Man­gel an Sicher­heit so: „Klei­ne und schein­bar unbe­deu­ten­de Akte der Respekt­lo­sig­keit, Unhöf­lich­keit oder Gleich­gül­tig­keit kön­nen ein Team zurück in den Rück­zug und das per­sön­li­che Risi­ko­ma­nage­ment treiben.“

Nun ist Dir sicher schon klar gewor­den, dass der Schatz der Psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit nicht so ein­fach geho­ben wer­den kann. Denn wie bei vie­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­the­men gilt: Unse­re Hal­tung und unse­re Wer­te prä­gen unser Ver­hal­ten. Aber die bewuss­te Arbeit an unse­rem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­ten – also an dem, was ande­re direkt wahr­neh­men – kann wie­der­um auch unse­re Hal­tung und die Sicher­heit in einem Team verändern.

Sätze wie Tiefschläge – Sätze wie Blumensträuße

Jetzt wird’s kon­kret. Schau mal auf die­se fol­gen­den zehn Zita­te. Der ers­te Satz ist der „Tief­schlag“ und scha­det der Psy­cho­lo­gi­schen Sicher­heit. Der zwei­te Satz könn­te in der­sel­ben Situa­ti­on wie ein moti­vie­ren­der Blu­men­strauss wir­ken. (Eini­ge Bei­spie­le stam­men aus „The Psy­cho­lo­gi­cal Safe­ty Playbook“):

Toxi­sche Äuße­run­gen:
Kom­mu­ni­ka­ti­ve Tief­schlä­ge
Näh­ren­de Äuße­run­gen:
Kom­mu­ni­ka­ti­ve Blumensträuße

1“Das ist doch offen­sicht­lich, das haben wir doch alles schon besprochen.”“Was ist Dir noch unklar? Viel­leicht habe ich das noch nicht klar genug erklärt.“
2„Ich brauch jetzt kei­ne Dis­kus­si­on dazu.“„Was soll­te ich noch wissen?“
3„Das ist Dein Pro­blem. Das sehe ich bei Dir.“„Macht es für Dich Sinn, wenn wir da mal gemein­sam draufschauen?“
4„Das liegt nicht in Dei­ner Verantwortung.“„Dan­ke für Dei­nen Hinweis.“
5„Immer die­se Bedenkenträger!“„Wel­che Per­spek­ti­ve soll­ten wir noch einnehmen?“
6„Jetzt komm end­lich mal zum Punkt.“„Ich fas­se mal zusam­men, was ich bis­her ver­stan­den habe.“
7„Das darf ein­fach nicht passieren.“„Wie kön­nen wir das in Zukunft vermeiden?“
8„Du bist immer so chao­tisch. So kann ich nicht arbeiten.“„Ich brau­che mehr Ord­nung, damit ich mich an die­sem Arbeits­platz wohl fühle.
9„Das ist kei­ne gute Idee, aber wenn Du drauf bestehst…“„Inter­es­san­te Idee. Was kann pas­sie­ren, wenn Du das ausprobierst?“
10 Ich hör mir die­se Kri­tik nicht län­ger an. Das führt zu nichts.“„Dan­ke, dass Du den Mut hast, das offen anzusprechen.“
Tabel­le: Kom­mu­ni­ka­ti­on und Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit. Das scha­det, das hilft

Eine kleine Übung: Wie würdest Du anders reagieren?

Zum Schluss kanst Du jetzt allein oder mit Kolleg:innen selbst mal üben. Wenn Du auf die fünf unten geschil­der­ten all­täg­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­bei­spie­le schaust: Wie sieht Dei­ner Mei­nung nach in der geschil­der­ten Situa­ti­on eine Kom­mu­ni­ka­ti­on aus, die Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit fördert?

  1. Der Pro­jekt­lei­ter sagt zu einem Kol­le­gen, der ein schwie­ri­ges Arbeits­the­ma mit ihm durch­spre­chen möch­te: „Komm mir nicht immer mit Pro­ble­men. Wir sehen uns wie­der, wenn Du das gelöst hast. Aber bit­te schnell.“

  2. Eine Ärz­tin reagiert auf einen Pfle­ger, der sie auf einen extre­men Wert im Blut­bild einer Pati­en­tin auf­merk­sam macht, mit den Wor­ten: „Wer von uns hat denn hier studiert?“

  3. Ein Kol­le­ge legt beson­de­ren Wert dar­auf, dass alle die neu ent­wi­ckel­te Abla­ge– und Ord­ner­struk­tur zu 100 Pro­zent umset­zen. Wenn er jeman­den bei einem „Feh­ler“ erwischt, reagiert er aus­fäl­lig und abwer­tend. „Alles Idio­ten hier. Hier kann ich nicht arbeiten!“

  4. Ein Geschäfts­füh­rer hört sich mehr­fach Kla­gen über einen Kol­le­gen an, der von den ande­ren im Team als „Mobbing-Faktor“ beschrie­ben wird. Er reagiert pas­siv: „Löst das mal wie erwach­se­ne Men­schen selbst.“

  5. Eine Vor­ge­setz­te bit­tet im Mee­ting alle um Ideen und Vor­schlä­ge zu einem drin­gen­den The­ma. Dann been­det sie die mun­te­re Dis­kus­si­on mit dem Satz: „Wenn jetzt alle ihren Senf dazu gedrückt haben, kön­nen wir viel­leicht mal weitermachen.“

Willst Du das Thema vertiefen?

Wenn Du inten­si­ver an dem The­ma Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit arbei­ten möch­test: Schreib mir gern eine Mail an karin.volbracht@next‑u.de.

Im drit­ten Text zum The­ma beschäf­ti­ge ich mich damit, war­um Psy­cho­lo­gi­sche Sicher­heit in agi­len oder selbst­or­ga­ni­sier­ten Teams wich­ti­ger sein kann als per­fek­te Pro­zes­se, Metho­den und Tools.

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