Wir Menschen haben schon immer soziale Systeme gebildet, Nachbarschaften, Staaten, Gesellschaften, Glaubensgemeinschaften, Unternehmen, Interessensverbände usw., deren organisatorische Eigenschaften sich aber im Laufe der Geschichte immer wieder verändert haben.
In ihrem Buch „Spiral Dynamics“ beschreiben Don Edward Beck und Christopher C. Cowan ausführlich die Entwicklungsgeschichte menschlicher Organisationen. In den letzten Jahren sind diese Ideen von vielen anderen aufgegriffen worden. Beispielsweise widmet auch Frederic Laloux ein ganzes Kapitel diesem Thema. Grund genug, die Essenz dieses Erklärungsmodells hier vorstellen.
(Dieser Beitrag ist zuerst im Blog von intrinsify!me erschienen)
Die Evolution von rot bis türkis
Die einzelnen farblich codierten Evolutionsstufen, wie sie in der unten folgenden Abbildung dargestellt sind, bauen dabei aufeinander auf.
Macht (rot)
Die mit dem Begriff Macht charakterisierte Organisationsform wird auch als imperiales Zeitalter bezeichnet. Solche Organisationsformen begannen sich vor ca. 10.000 Jahren zu entwickeln und es gibt heute noch immer solche Organisationen, beispielsweise in Form von Straßenbanden oder Söldnergruppen. Egoismus und Ausbeutung sind bestimmende Merkmale.
Jede Organisationsform ist entstanden, um einen bestimmten Zweck und bestimmte (Sicherheits-)Bedürfnisse zu erfüllen. Rote Organisationen stellen Sicherheit durch machtvolles Handeln her. Meistens existiert eine autoritäre Hierarchie von Individuen und Persönlichkeiten, die mit entsprechenden Befehlsketten eine Aufgabenteilung bewirken.
Wahrheit (blau)
In der nächsten Stufe liegt der Fokus nicht mehr auf den Individuen, sondern auf der Gemeinschaft. Diese Wechsel zwischen individuellen und kollektiven Bedürfnissen findet auch zwischen allen nachfolgenden Übergängen statt, wie dies die hin und her wechselnden Pfeile in Abb. 10 andeuten.
Blaue Organisationen geben ihren Mitgliedern durch allgemeingültige Gesetze und Regeln ein hohes Maß an Sicherheit. Sie sind konformistisch: Jeder hat sich an die Gesetze zu halten. Wobei die Gesetze wiederum von einer Hierarchie gestaltet und durchgesetzt werden. Die Macht obliegt aber nicht mehr den Individuen und deren Persönlichkeit, sondern wird durch entsprechende Rollen und Ränge definiert. Nur der jeweilige Rollenträger hat die Macht.
Diese Organisationsformen begannen sich vor ca. 5.000 Jahren zu entwickeln. Beispiele sind Behörden, Militär und die katholische Kirche. Ihre wesentlichen Errungenschaften sind wiederholbare Prozesse und eine längerfristige Handlungsperspektive.
In anderen Quellen als Beck/Cowan werden teilweise andere Farben verwendet, beispielsweise verwendet Frederick Laloux bernstein an Stelle von blau.
Leistung (orange)
Nachdem blaue Organisationen in bürokratischer Weise gemeinschaftlich orientiert waren, stellt orange wieder die individuelle Leistung in den Vordergrund. Individuelle Zielvereinbarungen, eine hohe Leistungsorientierung, strategisches Handeln und ganz allgemein ein ausgeprägter Materialismus sind Kennzeichen dieser Organisationsformen, die vor etwa 500 Jahren zu entstehen begannen.
Viele multinationale Konzerne und börsenorientierte Unternehmen können als orange bezeichnet werden. Sie sind bis heute stark und dominant. Mit Hilfe ihres Leistungsprinzips bringen Sie viele Innovationen hervor. Leistung legitimiert auch individuelle korrumpierende Handlungen über die noch für blau verbindlichen Standards hinaus.
Gleichheit (grün)
Dazu bilden grüne Organisationen wieder einen Gegenpol. Hier dürfen Individuen sich nur hervorheben, soweit sie von der Gemeinschaft dafür ermächtigt wurden. Es ist eine postmoderne pluralistische Form, die vor etwa 50 Jahren entstand.
Sicherheit entsteht aus den sozialen Beziehungen. Autorität basiert auf einer sozialen Verlässlichkeit, starken Werteorientierung und hoher fachlicher Expertise. Grüne Organisationen sind kulturorientierte Organisationen wie beispielsweise Southwest Airlines oder Zappos.
Systemisch (gelb)
Mit gelb wird eine neue Ordnungsebene erreicht. Während sich die Strömungen bisher gegenseitig ausschlossen und ersetzten, gelingt ab gelb die Integration aller darunterliegenden Farben.
Eine starke Leistungsorientierung (orange) oder ein heroisches Verhalten (rot) wird beispielsweise von auf Gleichheit (grün) beruhenden Organisationen nicht akzeptiert. Für eine systemische Organisation ist das kein Problem, sofern dies eine systemische Weiterentwicklung ermöglicht.
Während grüne Organisationen einzelne Personen ermächtigen, beispielsweise Vorgesetzte im Konsent wählen, basieren systemische Organisationen auf eigenmächtigen Entscheidungen und Handlungen ihrer Individuen, die allerdings kooperativ, konsultierend und an gemeinsamen Prinzipien ausgerichtet sind.
Konsultative Fallentscheidungen und nebenläufige Entscheidungsverfahren sind hier typisch.
Holistisch (türkis)
Während in systemischen Organisationen das Individuum im Fokus steht, das sich kooperativ an der eigenen Organisation orientiert, lenkt die holistische Organisation den Blick auf die Umgebung und den Kontext der eigenen Organisation und versteht sich als Teil eines größeren Ganzen, dessen Möglichkeiten gesteigert und deren Wohl vermehrt wird. Widersprüche werden ausbalanciert, Paradoxien transzendiert (überschritten), Komplexität und Dynamik nutzbar gemacht.
An die Stelle des Wettbewerbs zwischen Organisationen tritt die Orientierung an gemeinsamen übergreifenden Werten.
Vermutlich sind die niederländische Buurzorg (Gesundheitswesen, Niederlande, 7.000 Mitarbeiter), Patagonia (Funktionskleidung, USA, 1.300 Mitarbeiter) und FAVI (Metallverarbeitung, Frankreich, 500 Mitarbeiter) Beispiele und Pioniere türkiser Organisationen.
Mit den Farben spielen: Sie können auch anders
Die Fähigkeit von Organisationen der zweiten Ordnungsebene (systemisch und holistisch), die Strömungen, Eigenheiten und Führungsfähigkeiten der unteren Ebenen mit zu nutzen und zu integrieren, darf meines Erachtens nicht unterschätzt werden und führt zu einem qualitativen Sprung jenseits von Gleichheit.
In unserer Wirtschaft dominieren immer noch Leistungs- und Effizienzdenken (orange und blau). Erfolg wird materiell bemessen an Hand von Umsatzrendite, Gewinn und Börsenwert – vor allem im Vergleich zu Wettbewerbern.
Systemische und holistische Organisationen bemessen ihren Erfolg an ihrer Wirksamkeit, ihre Werte und ihren Sinn zu verbreiten und einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Geld ist hier auch relevant, aber als Mittel zum Zweck. Insofern stehen holistische Unternehmen eher in einem respektvollen sportlichen Wettbewerb, die bedeutendsten Wertbeiträge für ihre Umgebung zu erzeugen.
Die eigentlichen Wettbewerber holistischer Unternehmen sind deswegen die grünen, orangenen, blauen und roten Unternehmen, denn diese sind aus holistischer Sicht nicht durch Werte und Sinn getrieben und damit tendenziell kontraproduktiv zur eigenen Mission.
Deswegen müssen holistische Unternehmen zu den Leistungen und der Effizienz der unteren Ebenen wettbewerbsfähig sein. Soweit es zur Steigerung der eigenen Wirksamkeit hilfreich ist, befähigen sich holistische Unternehmen deswegen auch zu Leistung und Effizienz sowie Wahrheit und auch Macht.
Für ein Unternehmen wie FAVI (http://www.favi.com/) ist es beispielsweise selbstverständlich immer pünktlich zu liefern – auch wenn es ganz besondere Anstrengungen (Leistungen, Effizienz) erfordert oder ein Mitarbeiter einmal eine heroisch anmutende Aktion (Macht) durchzieht.
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