Dimensionen der agilen Transformation – Das Wabenmodell

Mit dem Wabenmodell agile Organisationen gezielt beobachten und beeinflussen (Blogserie Teil 1)
Jede Organisation hat ihr eigenes facettenreiches Gesicht. Wie lässt sich in der Organisationsentwicklung das komplexe Zusammenspiel einzelner Handlungsfelder beeinflussen? Und wo soll man anfangen, wenn es um agile Transformation geht? Das „Wabenmodell“ verschafft Überblick und stützt gezielte Interventionen.
Mit diesem Text beginnt eine Reihe mit Beiträgen aus der beraterischen Praxis von Kolleginnen und Kollegen aus dem next U Netzwerk und von uns nahestehenden Beraterinnen und Beratern. Damit diese sicherlich multi-thematische Reihe über agile Organisationsentwicklung einen Rahmen und eine Struktur bekommt, starten wir (Kirsten Kratz und Karin Volbracht) mit dem “Wabenmodell”. Dieses Modell entstand in der gemeinsamen Arbeit im Rahmen eines Kundenprojekts.
Das Wabenmodell bietet einen Bezugspunkt für alle weiteren Beitrage. Hier lassen sich alle Aspekte der agilen Organisationsentwicklung gut verorten. Jeder weitere Text oder Podcast in dieser Reihe wird sich dann auf mindestens eine “Wabe” beziehen.
Jede Organisation hat ihr eigenes Waben-Profil
Organisationen sind vielschichtig und komplex. Organigramme oder agile Kreismodelle erzählen als Organisationsbilder kaum etwas darüber, was die Organisation zusammenhält und funktionieren lässt. Mit Hilfe des Wabenmodells (Abbildung unten) lassen sich agile Organisationen gezielt beobachten und beeinflussen.
Das Wabenmodell bildet die Dimensionen der agilen Organisation ab. Wir nutzen es von der Auftragsklärung bis zur Evaluation von Prozess-Schritten oder für Befragungen der Kolleg:innenschaft, um die Beobachtungen und Bedürfnisse unserer Kundinnen und Kunden gut erfassen zu können.
Jede Organisation hat ihre eigenen Stärken – und jede Organisation hat ihre speziellen und dringlichen Entwicklungsfelder. Wir stehen als Beraterinnen und Berater jeweils Systemen mit komplexen und diversen Profilen gegenüber. Die “Waben” machen sowohl uns als auch den Kundinnen und Kunden die Arbeit leichter.

Die zehn Waben oder Dimensionen und die idealtypischen Kernaussagen dazu lauten:
- Gesamthafte Ausrichtung:
Die gemeinsame Idee, Zweck und Sinn der Organisation sind bei Entscheidungen führend.
- Rollen:
Führungs- und Facharbeit wird transparent und dynamisch geteilt und in Rollen gelebt.
- Verantwortungsübernahme:
Verantwortung wird innerhalb eines klaren Delegationsrahmens übernommen. Das Verantwortungssystem funktioniert und erfüllt den Zweck der Organisation.
- Delegationsrahmen:
Handlungsrahmen und Delegationsstufen sind in einem dialogischen Prozess geklärt.
- Methoden:
Agile Methoden, Moderationen, Entscheidungswerkzeuge, Retrospektiven sind etabliert und werden ständig weiterentwickelt.
- Prozesse:
Für wichtige, sich wiederholende Praktiken der Zusammenarbeit gibt es beschriebene Prozesse, die allen Beteiligten bekannt und ohne Einwände etabliert worden sind. Auch die Prozesse kommen regelmäßig auf den Prüfstand und werden weiterentwickelt.
- Entscheidungen:
Entscheiden werden von transparent delegierten Gremien oder Einzelpersonen in passenden Zeitrahmen getroffen und dokumentiert. Sie werden in Retrospektiven bewertet und gegebenenfalls angepasst.
- Kommunikation (und Information):
In der Kommunikation untereinander herrscht ein lösungsorientierter und wertschätzender Grundsound. Transparenz und Offenheit bei Unternehmensdaten und in der internen Kommunikation liefern eine Basis für belastbare, nachhaltige Entscheidungen.
- Feedback und Fehlerkultur:
Es herrscht ein Klima der Psychologischen Sicherheit. Wertschätzendes Feedback fördert die Entwicklung von Individuen und Teams. Fehler werden zum Lernen und zur Weiterentwicklung genutzt.
- Haltung und Werte:
Es wird regelmäßig über Grundhaltungen und Werte in der Organisation reflektiert. Das gemeinsame Verständnis darüber ist im Alltag der Zusammenarbeit und gegenüber dem “Außen” der Organisation erkennbar.
Es gibt wohl keine Organisation, die in allen Dimensionen die selbst gesetzten Ideale erreicht
Jetzt erschrecken Sie bitte nicht angesichts der möglicherweise herausfordernden Kernaussagen zu jeder Dimension. So “idealtypisch” formuliert entsprechen die Beschreibungen einem extrem hohen Reifegrad. Wir kennen ehrlich gesagt keine einzige Organisation, die in allen Dimensionen die selbst gesetzten Ideale erreicht hätte. (Wenn Sie ein Unternehmen kennen, auf das alle Kernaussagen zutreffen, geben Sie uns bitte Bescheid! Das würden wir gern kennenlernen.)
Im nächsten Beitrag lesen Sie dann Praxisfragen zur Beobachtung jeder Wabe. Damit fällt die Selbsteinschätzung sicherlich schon leichter.
Wichtig dabei ist:
- Alle Dimensionen sind miteinander verbunden und haben Auswirkungen auf das Gesamtbild.
- Jede „Wabe“ trägt zur Anpassungsfähigkeit und Stabilisierung des Gesamtsystems bei.
- Jede „Wabe“ lässt sich beobachten und durch verschiedene Maßnahmen und Interventionen beeinflussen.
Denken Sie mal an Fußball…
Das lässt sich gut mit einem Bild aus dem Fußball erläutern: Stellen Sie sich eine Champions-League-Mannschaft vor. Natürlich möchte diese Mannschaft Siege erspielen. Doch allein anhand der Transfersummen oder der Profi-Gehälter lässt sich der Erfolg nicht vorhersagen. Denn es braucht Kompetenzen oder Reife in verschiedenen Bereichen oder Dimensionen: Motivation, Technik, mentale und körperliche Fitness, Kommunikationsfreude auf dem Platz, Teamspirit, Qualität in Standardsituationen, Kreativität, Überzeugung, Ausrüstung, medizinische Versorgung…
Sportreporter reden gern über den reinen Transferwert oder die technische Qualität einer Mannschaft, wenn sie Prognosen über Sieg oder Niederlage ablegen. Doch um nachhaltig erfolgreich zu sein, braucht eine Mannschaft ein gutes Level in allen Dimensionen. Für das Management bedeutet das, ganzheitlich zu denken und “blinde Flecken” auszuleuchten.
Jede Wabe kann eine andere Eingangstür zum Wandel sein
In der Arbeit mit einzelnen Teams oder Organisationen gehen wir durch die unterschiedlichsten “Eingangstüren” – immer abhängig davon, welches Problem durch die Transformation gelöst werden soll und wie die Ausgangssituation ist.
Hier einige Beispiele aus der beraterischen Praxis für sehr unterschiedliche Beratungsaufträge und Ansatzpunkte in verschiedenen Dimensionen oder Waben. Jedes dieser Beispiele läuft aus der Perspektive der jeweiligen Kunden unter dem begriff “Agile Organisationsentwicklung”:
- Innerhalb eines Konzerns soll die Arbeit in den Führungsgremien neu strukturiert werden, damit schnellere und bessere Entscheidungen getroffen werden. Hier haben die Dimensionen “Delegationsrahmen”, “Entscheidungen” und “Verantwortungsübernahme” zunächst Priorität.
- Ein Sozialunternehmen mit vielen einzelnen Gesellschaften möchte “Kollegiale Führung” einführen, weil dieses Konzept auch der christlichen Grundhaltung, den Werten und dem Partizipationsbedürfnis innerhalb der Organisation entspricht. Hier können erste Interventionen in den Dimensionen “Methoden”, “Kommunikation” und “Rollen” beim Start unterstützen.
- Der Gründer und Inhaber eines großen Ingenieurbüros möchte seinen Ausstieg vorbereiten, indem er mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation in seinem Unternehmen zulässt und aktiv unterstützt. Der Inhaber hat in der Auftragsklärung die Waben “Delegationsrahmen”, “Rollen” und “Feedback- und Lernkultur” priorisiert.
Leitfragen, Skalen, Umfragen zu jeder Dimension
Für jede Wabe oder Dimension haben wir Leitfragen entwickelt, mit denen sich die Wabe beobachten und besprechen lässt. Auch gibt es für jede Dimension eine Skala, mit der durch eine Selbsteinschätzung oder in Umfragen der Status Quo oder der jeweilige Reifegrad ermittelt werden kann. Diese Selbsteinschätzung ist nützlich, um zu Beginn einer Transformation die Stärken zu ermitteln und darauf aufzubauen. Auch können im Verlauf der Transformation mit Hilfe des Wabenmodells der Entwicklungsstand und die weiteren Entwicklungsfelder ermittelt werden.
Schlussbemerkung:
Das Wabenmodell entstand in einem Kundenprojekt der CommonGround Organisationsberatung von Kirsten Kratz und wurde immer weiter entwickelt: Wir bedanken uns nicht nur bei den Vertreter*innen des betreffenden Kunden, sondern auch und von ganzem Herzen bei Stefan Günther für seine Impulse und kritischen Nachfragen und bei unserem next-U-Freund und Netzwerkkollegen Carsten Holtmann. Carsten gehört auch zu den “Herausgebern” der folgenden Beitragserie.
Danke für diese übersichtliche Beschreibung!
Als systematisches Orientierungsangebot für überschaubare Unternehmen kann ich mir das gut vorstellen. Zumal in diesen Unternehmen oft wenig Erfahrungen verfügbar sind, sich dazu selbst einen anspruchsvollen Zielzustand vorzugeben. Gern wird auch gefragt: Wo stehen wir als Organisation? Der Hinweis, dass es nicht um den Vergleich mit anderen gehen kann, unterstütze ich voll und ganz. Dass jede Unternehmensorganisation ein Original ist, verstehen viele Verantwortliche sofort. Die Mode, nach dem “best practice” zu schielen, wirkt dennoch.
Diskutieren würde ich gern über Umsetzungserfahrungen. Vermutlich wird es nicht so viele Unternehmen geben, die für ein solches systematisches Vorgehen offen sind.
Kennen Sie das Buch „Der Bienenhirte“? Passt zu Ihrem Ansatz…
VG